Ein Faust-Roman - lesenswert!

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pmelittam Avatar

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Wer kennt ihn nicht, Goethes Faust? Oliver Pötzsch hat sich dem historischen Faust angenommen und erzählt seine Geschichte von Kindheit an. 1486 treffen wir Johann Georg zum ersten Mal, er ist noch ein kleiner Junge, der sich an Gauklern, die seine Heimatstadt Knittlingen besuchen, erfreut. An diesem Tag trifft er, und der Leser, auch zum ersten Mal auf Tonio del Moravia, der den Jungen für etwas Besonderes hält und ihn zeitweise unter seine Fittiche nimmt. Seine Absichten scheinen allerdings eher ungut zu sein.

Johann, den seine Mutter Faustus, der Glückliche, nennt, hat es nicht leicht, sein Vater hält wenig von ihm, die Mutter ist schwer krank, im Dorf ist er nicht gut gelitten. Der Name Faustus scheint fast Hohn zu sein – und wird es auch weiterhin bleiben. Leicht ist nämlich auch sein weiteres Leben nicht, er selbst macht es sich dabei oft selbst schwer, lügt und betrügt, und tut den Menschen, die er mag, oft nicht gut. Er wird getrieben von Wissensdurst, und erhält auch immer wieder die Chance, sein Wissen zu mehren. Doch es scheint auch etwas Dunkles um ihn zu sein, etwas, das vielleicht mit seiner Geburtsstunde zu tun hat?

Der Autor hat seinen Roman in einen Prolog und fünf Akte aufgeteilt, die jeweils über einen Lebensabschnitt Fausts berichten. Sehr gut hat mir bereits der erste Satz gefallen „Im Herbst, als die Kinder verschwanden, kamen die Gaukler in die Stadt“ - na, wenn das nicht direkt neugierig auf den Roman macht! Oliver Pötzsch erzählt sehr bildhaft und atmosphärisch und zieht den Leser schnell in den Roman hinein. Manche Szene ist recht gruselig, aber das gehört bei Faust halt auch mit dazu. Sehr interessant ist auch der historische Background, es gibt viel Zeitkolorit und der Leser lernt manches dazu.

Die Geschichte ist spannend, Faust und mit ihm der Leser erlebt sehr viel, und dennoch habe ich manchmal das Gefühl, es zieht sich, manche Abschnitte sind deutlich besser, spannender und interessanter als andere. Leichte Probleme hatte ich mit dem großen Zeitsprung, der den 5. Akt einläutete, hatte man Johann zuvor noch praktisch ständig begleitet, sind nun auf einmal 13 Jahre vergangen, und der Protagonist zunächst kaum wieder zu erkennen. Es brauchte seine Zeit, bis ich mich daran gewöhnt hatte, und sicher wäre die Zeit dazwischen auch nicht uninteressant gewesen. Dennoch erscheint es mir im Nachhinein ganz gut, dass der Autor hier gestrafft hat und somit dichter an der Geschichte bleibt, die er eigentlich erzählen will.

Man lernt Johann sehr gut kennen, gerade zu Anfang leidet man oft mit ihm mit, später wird das schwieriger, Johanns Entwicklung geht teilweise in eine eher ungute Richtung, sein Handeln zu verstehen fällt manchmal schwer. Das macht ihn dafür aber interessanter. Selten bleibt er an einem Ort, er ist viel unterwegs, in Begleitung, aber auch allein, sein Leben ist abwechslungsreich, mal ist er Gaukler, mal Student ... Er trifft auf viele unterschiedliche Menschen, auch historische Persönlichkeiten (es lohnt sich, die einzelnen Personen zu googeln). Gut gefällt mir, dass die Charaktere, auf die man hier trifft, einschließlich Faust, fast alle sehr vielschichtig gestaltet sind, reines Schwarz oder Weiß ist selten. Mehr als ein Charakter ist auch für die eine oder andere Überraschung gut – einschließlich Faust selbst.

Als Bonusmaterial gibt es Karten, ein interessantes Nachwort, einen Reiseführer auf Fausts Spuren und „Faust für Klugschwätzer“, bei letzterem kann man vergleichen, wie viele Faust-Zitate man im Roman entdeckt hat. Leider fehlt ein Personenverzeichnis, man bringt zwar die Personen des Romans nicht durcheinander, ich hätte es aber schön gefunden, noch einmal nachschlagen zu können.

„Der Spielmann“ erzählt nicht Fausts ganze Geschichte, es wird noch mindestens einen Nachfolgeroman geben. „Der Lehrmeister“ ist für September 2019 angekündigt. Natürlich werde ich auch diesen Roman lesen, ich muss doch wissen, wie es mit Faust weitergeht.

Einen Roman über Faustus zu schreiben ist eine großartige Idee, ist dieser Mann doch sehr interessant und bietet alleine durch die vielen Legenden reichhaltigen Stoff. Oliver Pötzsch ist ein guter Roman gelungen, der mich über weite Strecken gefesselt hat, der einen interessanten Protagonisten hat und gutes Kopfkino bietet. Trotzdem bin ich nicht durchweg begeistert, stellenweise zieht sich der Roman in meinen Augen zu sehr. Ich vergebe 4 Sterne und eine Leseempfehlung für Faust-Fans und Freunde guter historischer Romane.