Immer den Teufel im Nacken

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redcat Avatar

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Bahn streikt!
Pötzsch schreibt!

Genau, so war es. Hätten die Lokführer vor einigen Jahren - just zu der Zeit, als Oliver Pötzsch sich auf Leserreise befand – nicht gestreikt, wäre Oliver Pötzsch auch nicht in einem kleinem Ort namens Bretten (Nähe Karlsruhe) festgehangen. Und weil er als Autor rastlos ist, hat er die Zeit tot geschlagen und hat sich in der Gegend umgeschaut. So ist er durch Zufall dann auf das Geburtshaus von Dr. Johannes Faust in Knittlingen gestoßen...

Faust! Viele Schüler kennen Goethes Faust aus dem Deutschunterricht. Aber nur wenige wissen, dass Faust tatsächlich gelebt habt. Und über diese historische Figur hat Oliver Pötzsch, den viele schon von seiner 'Henkerstochter'-Reihe her kennen, einen umfangreichen - knapp 800 Seiten – spannenden Roman geschrieben, welcher in der Übergangszeit vom späten Mittelalter zur Renaissance spielt.
Der Hauptprotagonist in diesem Roman ist Johann Georg, der von seiner Mutter auch „Faustus“ - der Glückliche - genannt wird, weil er unter einem besondern Stern geboren wurde. Johann ist so ganz anders als seine älteren Brüder. Johann ist eher verträumt aber auch wissbegierig und will viel lernen. Bücher haben es ihm angetan. Er ist eher klein und schmächtig und somit auf einem Hof, auf dem hart angepackt werden muss, eher fehl am Platz. Johann wird von seinem Vater daher auch eher missachtet. Nur seine Mutter liebt und schätzt ihn über alles.
Wir lernen Johann kennen als er acht Jahre alt ist und den Einzug einer Gauklertruppe in seinen Wohnort Knittlingen mit Faszination beobachtet. Die Begegnung mit dem Zauberer Tonio del Moravia prägt ihn und beeinflusst sein Leben nachhaltig. Johann ist hin und weg von der Welt der Magie und bringt sich selber Zauberkunststücke bei, mit denen er bei seiner Kinder-/Jugendfreundin Margarethe ihr Herz erobert. Doch diese Liebe darf nicht sein, da Margarethe, die Tochter des Pflegverwalters, einen anderen Mann heiraten soll. Bei einem heimlichen Treffen im Wald kommt es zu einer Katastrophe: Margarethe hat eine unheimliche Begegnung und Johanns kleiner Bruder verschwindet auf mysteriöse Art und Weise. Auf Johann lastet nun der Zorn und die Wut des Dorfes, so dass ihm nichts anderes üblich bleibt, als Knittlingen zu verlassen. Auf seiner Flucht, die er beinahe mit dem Leben bezahlt, begegnet er wieder Tonio Moravia, der sich bereit erklärt, ihn als Gefährten mit auf Wanderschaft zu nehmen. Aber nur unter einer bestimmten Bedingung: „Ich habe Dir das Leben gerettet, dafür wirst Du mir ein Jahr lang dienen, zur Prüfung und ohne Lohn. Danach sehen wir weiter. Der Pakt gilt so lange, bis ich Dich wieder entlasse“ (S. 137).
Als kleine Gauklertruppe ziehen sie von Stadt zu Stadt und führen ihre Kunststücke vor, Tonio sagt zudem einzelnen Leuten die Zukunft voraus. Johann lernt in dieser Zeit viele Kunststücke aber auch auch viel über die schwarze und weiße Magie, gleichzeitig wird er aber von seinem Meister hart rangenommen. Nach und nach spürt Johann, dass seinen Meister etwas Düsteres, Mystriöses umgibt. Diese dunklen Mächte scheinen auch auf ihn selbst überzugreifen. Tonio ist ihm nicht mehr ganz geheuer. Und so beschließt er, sich dem Einfluss seines teuflisch wirkenden Meisters zu entziehen und flieht. Eine spannende, aufregende, unstetige, abenteuerliche und immer die Angst im Nacken habende Zeit beginnt. Er reist mit Gauklern bis nach Venedig und bekommt außerdem die Möglichkeit, in Heidelberg zu studieren.
Und weil Oliver Pötzsch viele Parallelen zu Goethes Faust in diese Geschichte eingebunden hat, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass Margarethe wieder auftaucht, deren Herz er weiterhin erobern möchte. Weiterhin ist aber Johann von seinem besessenen Ehrgeiz gepackt, nicht nur sein Wissen zu erweitern, er möchte die Welt verstehen und hinterfragen, was in der damaligen Zeit auf wenig Akzeptanz gestoßen ist.
Was Johann aber nie losgelassen hat ist die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung und Wichtigkeit seines Geburtsdatums. Er setzt fast alles dran, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen.
Und nach wie vor hat ihn Tonio del Moravia auf dem Plan. Die Verfolgung geht weiter. Johann ist nicht sicher vor ihm und muss weiter auf der Hut sein, nicht in seine grausamen Fänge zu geraten.

Der Roman ist äußerst spannend und vielschichtig. In meinen Augen ist es ein richtiger Pageturner.
Der Schreibstil ist flüssig, so dass man sich richtig gut in das Abenteuer einfinden kann. Die Beschreibungen sind fantastisch, das Gelesene läuft wie ein Film vor Augen ab. Es ist schön, so unterschiedliche Charaktere im Buch zu finden – so wie es im wahren Leben auch ist. Auch wenn Johann Charakterzüge aufweist, die man nicht unbedingt schätzenswert nennt, ist man dennoch auf seiner Seite, da man ihn versteht, auch wenn man nicht immer Verständnis hat.

Das Buch macht richtig Spaß zu lesen, vor allem, wenn man wieder Parallelen zu Goethes Faust entdeckt. Ich habe mir dann auf die Schulter geklopft und mich über dieses Aha-Erlebnis gefreut. (Oliver Pötzsch hat natürlich Goethes Faust Andeutungen extra hinten im Buch aufgeführt.)
Dieser historische Roman ist zudem auch lehrreich. Man lernt etwas über einzelne historische Gegebenheiten, kommt der Magie etwas näher und bekommt Einblick in den damaligen Zeitgeist.

Was der Roman noch bewirkt: Man bekommt Lust, sich auf die Spuren von Johann Georg Faustus zu begeben. Auch hier ist Pötzsch eine große Hilfe, da im hinteren Teil des Buches ein „Reiseführer auf Fausts Spuren“ angehängt ist, in dem man auch Wissenswertes über die einzelnen von Johanns bereisten Städte erfährt. Eine Karte vom Deutschen Reich um 1500 veranschaulicht dies noch mal optisch. (Den Reiseführer sollte man sich aber wirktlich – so wie es Oliver Pötzsch seinen Lesern nahe legt – nach dem Lesen des Romans vornehmen.)

Öliver Pötzsch ist hier ein genialer Coup gelungen, dessen Fortsetzung „Der Lehrmeister“ dann im September 2019 wieder in den Regalen stehen wird.
Oliver Pötzsch muss mit der Figur des Johann Georg Faustus ziemlich verbunden sein, denn um sich in „seinen“ Protagonisten und die damalige Zeit richtig reinzuversetzen, die nicht ohne Grund extrem authentisch rüberkommt, hat er sich unser Autor von einem Schreiner aus der schwäbischen Alb einen seinen Vorstellungen entsprechenden Schäferwagen, wie ihn wohl auch die Gaukler hatten, bauen lassen. Hier kann er sich in der Gegenwart in eine Epoche zurückversetzen lassen, die noch viele spannende Geschichten auf Lager hat und wartet, von einem grandiosen Autor geschrieben zu werden.

Dieses Buch ist absolut empfehlenswert und hat die Bestnote ohne Einschränkung verdient.
Hut ab und vielen Dank für das ausgesprochen hohe Lesevergnügen!