Flug ins Leben

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Kein allzu glücklicher Start ins Leben, den Luisa erlebt: nur vier Stunden nach der Geburt unterimmt sie einen Flug aus dem fünften Stock der Geburtklinik. Ist sie ihrer Mutter aus den Händen geglitten oder wurde sie gar geworfen. Keiner erfährt es, denn die Mutter Aza, eine brasilianische Studentin, verschwindet spurlos. Und auch wir Leser bleiben darüber im Unklaren.

Wer jetzt aber eine schicksalssatte, problemorientierte Kindheits- und Familiengeschichte erwartet, wird eines Besseren belehrt. Es ist durchaus keine unglückliche Kindheit, die Luisa erfährt. Denn da ist nicht nur ihr liebevoller, teils etwas chaotischer Vater Paul, seines Zeichens auch Student, später Lehrer und leidenschaftlicher WG-Bewohner, sondern da sind noch die restlichen WG-Bewohner, allen voran der englische Rugby-Spieler Fergus, der durch einen grandiosen Fang Luisas Lebensretter wurde, aber auch Max und die leicht verrückte Irene, die Luisa eine sicher unkonventionelle, aber sehr warmherzige Ersatzfamilie bieten. Und als Ausgleich sind da noch die Großeltern, sicherer Hafen in den Ferien oder wenn mal wieder alles zu chaotisch wird.

Natürlich ist da immer eine Fehlstelle, besonders Paul leidet unter dem rätselhaften Verschwinden Azas, aber insgesamt meistern Luisa und ihr Vater ihr Leben ganz gut. Bis ein Brief von Aza auftaucht, der alles in ein etwas anderes Licht taucht und Paul und Luisa nach Brasilien aufbrechen lässt, auf der Suche nach Aza und den Hintergründen ihrer Tat.
Zwischen den Bericht von Luisa ist die Geschichte einer Gruppe bayrischer Auswanderer montiert, die gegen Ende des 19.Jahrhunderts ihr Glück in Amerika suchten, aber in Brasilien landeten und dort eine deutsche Gemeinde weit ab von jeglicher Zivilisation gründeten.
Diese abgelegenen Ortschaften, die über die Jahrzehnte die deutschen Traditionen wahrten, existieren tatsächlich recht zahlreich in Südamerika und waren auch die Ausgangsidee für Stefanie Kremsers Roman.

Sie hat damit eine warmherzige, bunte und turbulente Geschichte geschaffen, die von der frischen Erzählstimme Luisas lebt, wobei als kleine kritische Anmerkung das Alter von sieben Jahren für das Erleben und Bewerten der Ereignisse unplausibel jung erscheint. Aber darüber lässt sich leicht hinweglesen.
Und da Stefanie Kremser neben der lebhaften WG-Geschichte, der warmherzigen Familiengeschichte, die auch durchaus ernsthafte Fragen nach Zugehörigkeit und Verantwortung stellt, auch eine dem südamerikanischen magischen Realismus nicht unähnliche Auswanderer-Geschichte erzählt, ist das dann vielleicht auch dieser Tradition zuzuschreiben.

Insgesamt eine für mich äußerst unterhaltsame und unerwartete Neuentdeckung und deshalb eine klare Empfehlung!