Tolle Geschichte, wunderbare Sprache, aber quälende Abschweifung

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rebekka Avatar

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Eine brasilianische Doktorandin, die ihr Neugeborenes in München aus dem Krankenhausfenster wirft und dann verschwindet. Ein englischer Rugbyspieler, der das Kind auffängt und damit rettet. Ein deutscher Kindsvater, der die Kleine vom ersten Moment an abgöttisch liebt und in einer Studenten-WG aufzieht - solch eine Geschichte muss man sich erst einmal einfallen lassen! Stefanie Kremser hat es getan und sich damit sicherlich in die Herzen vieler Leserinnen geschrieben.

Es ist aber nicht nur die rührende Story, die diesen Roman (wenigstens anfänglich) zu einem Genuss macht, es ist vor allem die Sprache. Kremsers wunderbar formulierte Sätze müssten eigentlich laut gelesen werden, sie haben ihre eigene Melodie und klingen noch lange nach. Die selten eingefügten Dialoge wiederum sind weit entfernt von jeder Gestelztheit und passen in die Zeit, in der die Geschichte spielt.

Ein rundum perfektes Buch, könnte man denken, aber das ist es nach meiner Ansicht leider nur bis zur Mitte. Dann nämlich macht sich die inzwischen siebenjährige Luisa mit ihrem Vater auf die Suche nach der verschwundenen Mutter und die Autorin kommt endlich auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen: die Auswanderung armer deutscher Landarbeiter nach Nord- und Südamerika. Seitenlang geht es um deren schlechtes Leben daheim und - in diesem Fall - ihr noch schlechteres Einleben in der Neuen Welt. Während dem Leser ebenso wie der kleinen Luisa immer stärker die Frage auf der Seele brennt, was die Mutter zu dieser unvorstellbaren Tat bewogen hat, wo sie jetzt ist und ob sie ihr Kind erkennen wird, wenn sie es sieht, muss er sich erst mal durch langatmige Familiengeschichten in Bayern quälen. Das bremst den Lesefluss und auch die Lust, der Geschichte weiter zu folgen.

Als Vater und Tochter dann endlich in Brasilien angekommen sind, geht alles sehr schnell und das Ende ist wenig überzeugend. Schade. Bis zur Hälfte des Buches dachte ich noch: Das gebe ich niemals wieder her! Jetzt bin ich mir dessen nicht mehr sicher.