Mittelalterliche Abenteuerreise durch Europa

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marionhh Avatar

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Europa im Jahr 1072: Der fränkische Krieger Vallon ist auf dem Weg nach Konstantinopel, als er den byzantinischen Gelehrten Cosmas, der im Sterben liegt, und dessen Diener Hero, ein Grieche, trifft. Als Cosmas stirbt, überredet Hero Vallon, ihn auf einer Reise zu begleiten und die Lösegeldforderung eines Seldschuken-Emirs für den Ritter Sir Walter an dessen normannische Familie zu überbringen. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass die Forderungen die finanziellen Möglichkeiten der Familie bei Weitem übersteigen. Alternativ fordert der Emir zwei Paare weißer Gerfalken, sehr selten, äußerst kostspielig und nur in hohen Norden Europas beheimatet. Nur die Mutter der Geisel ist bereit, die Reisenden auszustatten, und so entschließt sich Vallon, mit Hero, Walters Bruder Richard, dem Falkner Wayland und einem Soldaten der Normannen, dem Deutschen Raul, die Falken zu fangen und in die Zeltstadt des Emirs nach Anatolien zu bringen.

Auf seinem Weg schart Vallon ein bunte Mischung der unterschiedlichsten Gestalten und Nationalitäten um sich, Walters Stiefbruder Drogo und seine normannischen Gefährten verfolgen ihn, er wird in Kämpfe mit Isländern, Wikingerpiraten und anderen wilden Gesellen verwickelt, muss Zweikämpfe, Scharmützel und Hinterhalte überstehen, seine Truppe bei der Stange und das Geld zusammenhalten. Wayland, dem begnadeten Falkner, gelingt es in Grönland sechs Falken zu fangen. Danach geht die Reise weiter durch das Land der Russen bis zum Lager des Emirs in Anatolien. Mehr als einmal steht die Aktion auf der Kippe, und die gefahrvolle Reise fordert mehrere Menschenleben. Auf dem Weg eröffnet Hero Vallon, dass es nicht nur im die Befreiung des gefangenen Walter geht, sondern dass Cosmas ein viel höheres Ziel verfolgt hat: das verlorene Evangelium des Thomas, ein Jünger Jesu, zu finden. Nur Walter weiß, wo sich dieses befindet. Als die stark dezimierte Gesellschaft schließlich beim Emir eintrifft, ist nichts so wie erwartet. Ein letztes Mal müssen sich die Gefährten beweisen, bis sie endlich die Aufgabe als erfüllt betrachten können.

Fesselnd, spannend, traurig, lustig, rührend, lehrreich, opulent, mit wunderbaren, vielschichtigen Charakteren, ein großes Abenteuer, ein „Roadmovie“ aus dem Mittelalter! Nicht umsonst heißt der Roman im Original „Hawk Quest“, was ich einen deutlich besseren Titel finde als den deutschen. Mit „quest“ in der mittelalterlichen Bedeutung „Heldenreise eines Ritters“ erinnert die Abenteuerreise von Vallon und seinen Gefährten an mittelalterliche Heldenepen und die Suche nach den Gerfalken und dem Thomasevangelium an die Suche nach dem Heiligen Gral. Im Verlauf einer Quest besteht der Held Abenteuer, löst verschiedene Aufgaben, besiegt Feinde findet Objekte, überwindet Schwierigkeiten und gewinnt dadurch Ruhm und Erfahrung. Sinn der Quest ist unter anderem die innere Reifung und Reinigung eines Helden, was man hier auch sehr schön an den Protagonisten beobachten kann.

So unterschiedlich die einzelnen Mitstreiter auch sind: NUR gut oder NUR böse gibt es nicht, jeder ist ein interessanter Charakter für sich, beweist Loyalität, Klugheit und/oder Kampfesstärke und macht im Laufe der Reise eine Wandlung durch. Nach einiger Zeit stellen sich die verschiedenen Charaktere und Fähigkeiten seiner Leute heraus, und Vallon weiß diese für seine Sache zu nutzen. Hero beweist sich mehr als einmal als Arzt und Wissenschaftler, Richard emanzipiert sich von seinen „starken“ Brüdern Walter und Drogo und ist ein wertvoller Finanzverwalter. Wayland, seit jeher Einzelkämpfer und Sonderling und den Tieren mehr zugetan als den Menschen, fühlt sich zum ersten Mal einer menschlichen Gemeinschaft zugehörig.

Vallon selbst bleibt zunächst mysteriös, er ist ein herausragender Schwertkämpfer, von adliger Geburt und ein starker Führungscharakter. Aus seiner Vergangenheit ergibt sich nach und nach sein Motiv, er tut Buße für eine schreckliche Tat, weswegen er aus seinem Heimatland Franken fliehen musste. Er hadert mit sich und seinem Gott und will niemanden mehr an sich heranlassen, um nicht verletzt zu werden. Im Laufe der Reise und dem gemeinsamen Bezwingen der Gefahren lernt er, sich auf die Gefährten zu verlassen und ihnen zu vertrauen, und mehr als einmal wird deutlich, dass er das Wohl der Gruppe über sein eigenes stellt. Besonders Hero und Wayland werden zu guten Freunden, und er öffnet sich nicht nur seinen Gefährten, sondern auch der wilden Isländerin Caitlin gegenüber.

Die ursprünglichen Gefährten Vallon, Hero, Wayland, Raul und Richard bilden eine eingeschworene Gemeinschaft, jeder würde für den anderen sein Leben geben, und manch einer opfert sich, damit die Gruppe überlebt. Dies ist vor allem eine Geschichte über Kameradschaft, Freundschaft, Zusammenhalt und Stärke, sie zeigt, was eine bunt zusammen gewürfelte Truppe, die alle aus den unterschiedlichsten, teilweise dunklen Motiven heraus an der Reise teilnehmen, unter einen charismatischen Anführer schaffen kann. Jeder denkt als Individuum, stellt jedoch dennoch seine Stärke in den Dienst der Gruppe und ordnet sich unter. Einige sind und bleiben Galgenvögel, und nur dem Gespür und der Intelligenz, der List und dem Einfallsreichtum der Gefährten und nicht zuletzt Vallons Kampfkunst und Stärke ist es zu verdanken, dass die Reise ein glückliches Ende nimmt.

Von Beginn an erkennt und bewundert man das große Wissen des Autors über Falknerei und seine Begeisterung für das Reisen und das Mittelalter. Dieser Roman fesselt von der ersten bis zur letzten Seite, atemlos liest der geneigte Leser über die verschiedenen Landschaften und Menschen. Nein, er liest es nicht einfach, er macht eine Zeitreise und ist mittendrin im Geschehen, er kämpft und leidet und empfindet mit! Der Schreibstil ist sehr flüssig und das Buch liest sich trotz seiner hohen Seitenanzahl sehr gut und schnell herunter. Man merkt gar nicht, wie weit man auf einmal gekommen ist. Obwohl in mehrere Teile gemäß den Reiseetappen und in einzelne Kapitel unterteilt, wird die Geschichte chronologisch erzählt, wobei die Perspektiven wechseln und man so sehr gute Einblicke in das Innenleben der Protagonisten erhält. Recht hilfreich zur groben Verfolgung des Reiseverlaufs ist die Karte am Anfang des Buches.

Fazit: Ein fesselnd geschriebener Roman aus einer „dunklen“ Zeit, in der sehr unterschiedliche Männer zu Gefährten werden. Ein richtig schöner Schmöker für die dunkle Jahreszeit und sehr gut geeignet, um in die Geschichte hinein zu versinken und alles um sich herum zu vergessen. Sicherlich wird auch viel Zeit mit ausführlichen Beschreibungen der Reiseroute, der Landschaften, etc. verwendet, mitunter sind auch einzelne Begebenheiten wie z.B. die Überwindung der Stromschnellen, die Abrichtung der Falken oder ähnliches sehr detailliert beschrieben, dies tut dem Lesevergnügen aber keineswegs einen Abbruch, im Gegenteil, man erfährt viel Neues und gewinnt einen sehr authentischen Eindruck vom Leben und Reisen im Mittelalter und den Gefahren. Alles in allem ein tolles Buch für alle Fans des historischen Romans, und ich freue mich schon auf weitere Bücher dieses Autors!