Wer ist schuld?

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lichtfetzen Avatar

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Cecelia ist schuld. Schuld an dem Tod ihres Bruders. Und schuld daran, dass sie nun deswegen in einer Anstalt sitzt, in der sie dauerhaft überwacht wird und unzählige Therapieangebote aushalten muss. Zumindest ist dies ihre Meinung.
In der verhaltenstherapeutischen Anstalt muss sie sich zusammen mit ihrer Anwältin vorbereiten, während ihre Einzeltherapeutin Trina und ihr Gruppentherapeut Barnes ihr zu helfen versuchen. Währenddessen reflektiert CeCe, wie sie genannt werden will, große Teile ihres Lebens, besonders jenen, der mit dem Tod ihres Bruders zu tun hat.

Die Autorin springt immer wieder in der Zeit hin und her, mal wird die aktuelle Lage in der Anstalt beschrieben, dann werden wieder Geschehnisse von vor einigen Monaten aufgegriffen, bis beide Stränge schließlich am Ende zueinander führen. Diese Wechsel waren meistens sehr interessant, ich wollte stets wissen wie es CeCe jetzt geht, wie sie vorankommt, was sie denkt, und wie sie überhaupt in diese Situation kam, warum sie ihrer Meinung nach Schuld an dem Tod ihres Bruders war und was sonst so passiert ist- warum eins zum Anderen führte.
Beide Zeitstränge werden sehr realistisch und empathisch beschrieben. Die Anstalt wirkt nicht übertrieben, ebenso wenig die anderen Insassen. Klischees konnte ich kaum ausmachen und das war zugegeben sehr angenehm.

Die Charaktere finde ich sehr gut gelungen. Nicht alle waren mir sympathisch, aber das war vermutlich auch nicht die Intention der Autorin. Dafür waren sie nicht einfach nur irgendwelche Figuren, die einen Stempel aufgedrückt bekommen hatten und nach diesen handelten. Vor allem CeCe, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, kommt einem im Laufe der Zeit sehr nahe. Man lernt ihre Gedanken kennen, ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse. Auch wenn sie einige Fehler gemacht hat, waren diese logisch. Sie waren verständlich, und selbst wenn es teilweise folgenschwere Fehler waren, die alleine schon moralisch verwerflich sind- konnte man ihr kaum einen Vorwurf machen. Einfach weil man sie verstanden hat. Vielleicht auch, weil ich selbst nicht wusste, wie ich in solch einer Situation gehandelt hätte. Es war falsch, aber was ist schon richtig? Gerade, dass dieses schwarz/weiß-Denken in dem Buch vermieden wurde, fand ich sehr erfrischend. Die Autorin hebt nicht die Moralkeule und versucht dem Leser eine Lektion zu erteilen. Stattdessen lässt sie CeCe einfach leben und erzählen, egal wie viel sie richtig oder auch falsch macht.
Ansonsten konnte man CeCe beim Wachsen beobachten. Vor allem bei solch einer Geschichte finde ich es wichtig, dass die Charaktere nicht nur auf einer Stelle stehen. Etwas zu schnell fand ich allerdings die Liebesgeschichte, die im aktuellen Zeitstrang stattfand. Hierbei konnte ich die Entwicklung ihrer Gefühle nicht richtig nachvollziehen, aber okay, das war dann wohl "die Liebe auf den ersten Blick". Die anderen Charaktere waren natürlich wesentlich undurchsichtiger, einfach weil sie nie 'mit dem Leser kommunizieren'. Viel wurde zwar trotzdem deutlich, trotzdem hätte ich mir von den ein oder anderen Personen mehr Informationen gewünscht.

Gerade weil es in diesem Buch bei einigen Sachen kein richtig oder falsch gab, fand ich das Ende sehr gut gewählt. Zugegeben, das Ende hatte mir anfangs und zur Mitte der Geschichte etwas Sorgen bereitet. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, es hat ein Ende, dass einen zufriedenstellt. Es ist nicht zu gut und nicht zu schlecht und gerade diese Mitte finde ich als Abschluss perfekt.

Der Schreibstil ist meiner Meinung sehr schlicht, dies tut dem Buch allerdings keinen Abbruch, nein, es harmoniert sogar recht gut miteinander.