Agatha Christie meets E.T. A. Hoffmann

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„Der Tod und das dunkle Meer“ ist nun schon das zweite Buch von Stuart Turton, das mir vor die Leseflinte geriet und erneut hat er sich eine wilde Geschichte ausgedacht:

Wir befinden uns im frühen 17. Jh. auf einem Schiff, das von Batavia (Indonesien) nach Amsterdam fährt; an Bord: Generalgouverneur Jan Haan mit Familie und Gefolge, diverse Offiziere und Besatzungsmitglieder (durchaus nicht alle mit weißer Weste) – und der Gefangene Samuel Pipps mit seinem Freund und „Mitarbeiter“ Arent Hayes. Doch beim An-Bord-Gehen verflucht ein Aussätziger das Schiff bzw. die Menschen an Bord. Und tatsächlich häufen sich, kaum dass die Saardam den Hafen verlassen hat, häufen sich die Seltsamkeiten …

Was ist nun von dem Buch zu halten? Versuchen wir es zunächst mit einer Genrezuordnung: Der Verlag bezeichnet es als Kriminalroman und hat damit nicht unrecht, wird aber der von Turton zusammengerührten Melange nicht ganz gerecht, denn dabei fehlt ja schon das historische Moment (darauf wird zurückzukommen sein), die mystischen Elemente, die Abenteuerkomponente … man ahnt es bereits nach der Aufzählung: Die Geschichte ist nicht simpel gestrickt und genau das hebt sie von zahlreichen anderen ähnlichen ab. Es geht darum, wie schnell man in der Gunst „wichtiger Menschen“ sinken kann und wie gravierend die Folgen sein können (im 17. Jh. konnte das am Galgen enden). Es geht um Aberglauben (Hat wirklich der Fluch des Aussätzigen die Geschehnisse ins Rollen gebracht und ist am Ende der Tod an Bord?), das Böse, auch und gerade in Form von Gier und Versuchungen, sodass die Geschichte fast schon als Parabel auch auf unsere heutige Zeit (in der Mittel und Folgen natürlich andere sind) gelesen werden kann. Es geht aber auch um das „ewig Gute“ (hier verkörpert von der Frau des Gouverneurs). Das Krimisetting wiederum ist geradezu klassisch: Alle Opfer, aber auch der Täter sind an einem Ort zusammengepfercht, Auswege gibt es nicht. Für diese Konstellation ist es hilfreich, wenn die Figuren nicht klar „zu fassen“ sind (also nicht eindeutig gut oder böse) und genau das hat Turton auch hinbekommen, er spielt geradezu mit der Gedankenwelt seiner Figuren, vor allem aber der seiner Leser. Hinbekommen hat er auch, ein sehr lebendiges Bild des 17. Jhs. aufscheinen zu lassen: man riecht den Gestank auf dem Schiff quasi zwischen den Zeilen heraus; man spürt die ungerechte, aber als gegeben hingenommene Zuordnung zu „Ständen“, man ist entsetzt ob der Grausamkeiten … Das wiederum dürfte darauf zurückzuführen sein, dass er seine Sprache der Zeit anpasst, ohne dabei aber gewollt zu klingen, wie es bei historischen Romanen sonst oft der Fall ist. Wollte man „Der Tod und das dunkle Meer“ anderen, gar Autoren der Klassik zuordnen, wären Agatha Christie und E.T. A. Hoffmann sicher in erster Linie anzuführen. Die Auflösung spitzt sich mit zahlreichen Wendungen unweigerlich auf das Ende zu und bleibt dabei doch stets nachvollziehbar. Lediglich die angedeutete Liebesgeschichte hätte Turton sich schenken können, da hat er wohl einmal zu viel „Titanic“ gesehen … Wer nicht vor einem komplexen Genremix zurückschreckt, sollte bei der Lektüre Spaß haben – mir ging es so.