Hin und her gerissen

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buchwelten Avatar

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Diese Rezension fällt mir sehr schwer, denn auf der einen Seite haben mir einige Dinge sehr gut gefallen, andere dagegen gar nicht.

Die Geschichte spielt im Jahr 1634, vorwiegend auf einem Schiff auf dem Weg von Batavia nach Amsterdam. An Board befindet sich wertvolle Ware, aber noch bevor es losgeht, verflucht ein zungenloser Aussätziger das Schiff und geht danach in Flammen auf. Sammy Pipps, der als Gefangener auf dem Weg zu seiner Hinrichtung ist, sich eigentlich aber Detektiv schimpft, da er schon einige unlösbare Rätsel geknackt hat, nimmt die Drohung ernst. Doch er wird in einem dunklen Verschlag eingesperrt, beauftragt aber seinen Freund und Beschützer Arent Hayes, das Rätsel um den Aussätzigen zu lösen. Und je mehr Arent nach der Lösung forscht, umso mehr Geheimnisse, Intrigen und auch Tote kommen ans Tageslicht.

Stuart Turton hat einen ganz eigenen Schreibstil, der mich von Beginn an in seinen Bann gezogen hat und der diese unheimliche Atmosphäre an Board des Schiffes sehr gut eingefangen hat. Er benutzt schöne Bilder und Metaphern, schreibt zudem sehr lebendig und schafft Charaktere, die vielfältig und unterschiedlich geraten sind, wenn denn auch an mancher Stelle etwas stereotyp und zu modern für die Mitte des 17. Jahrhunderts angelegte Geschichte. Und während die ersten 50 Seiten auch wirklich spannend und fesselnd waren, folgte dann leider ein Teil, der mich überhaupt nicht gepackt hat. Es wird ermittelt und untersucht, Arent holt sich Hilfe bei Sara Wessel, einer sehr intelligenten und auch modern denkenden Ehefrau, die aber gänzlich von ihrem Ehemann unterdrückt wird. Gemeinsam erforschen sie, was der Aussätzige gemeint haben könnte, befragen die unterschiedlichen Mitreisenden genauso wie die Crew an Board, und immer mehr kristallisiert sich heraus, dass der Teufel, der alte Tom, hinter all dem stecken muss. Und es bleibt auch nicht bei dem einen Toten, immer mehr gruselige Gräueltaten geschehen, und immer scheint der alte Tom dahinterzustecken, der seinen blutigen Weg mit einem immer wieder auftauchenden „Teufelszeichen“ markiert. Das klingt erst mal interessant und spannend, aber irgendwie war es immer dasselbe Vorgehen, so dass ich mich an manchen Stellen gelangweilt habe. Man kann gar nicht anders, als an Sherlock Holmes oder auch an Agatha Christie zu denken, denn es gibt nur eine begrenzte Zahl an möglichen Tätern und weglaufen können sie auf dem Schiff nicht. Auch manche Herleitung und Erklärung lassen an Sherlock denken (weil sie aus der Luft gegriffen wirken, abstrus und nicht offensichtlich), und schon alleine die Kombination aus dem pfiffigen Sammy und dem natürlich längst nicht so schlauen Arent erinnert an Holmes und Watson. In diversen Interviews sagt der Autor auch, dass er sich genau darin geübt hat, so zu denken, wie es Sherlock nun mal tut. Mich hat das nur leider nicht packen können.

Die Auflösung des Ganzen hat mir dann aber gefallen – sie ist in sich schlüssig und Fragen bleiben keine offen. In Teilen habe ich mit meinen Vermutungen sogar richtig gelegen, das große Ganze aber habe ich nicht erraten – umso faszinierter ist dann auch die Erklärung all dessen, was alles geschehen ist. Diese Erklärung nimmt auch viel Raum ein, und nach diesen ca. 50 Seiten qualmte mir geradezu der Kopf, weil ich für mich erst mal alles sortieren musste. Aber – es ist wirklich durchdacht und schlüssig, und ich zumindest habe keinen Haken gefunden. Dieser Auflösung folgt dann ein Fakt, das mir leider einiges kaputt gemacht hat. Ich werde natürlich nicht sagen, um was es geht, aber moralisch finde ich das Ende ähnlich bedenklich wie auch in Stuart Turtons erstem Roman und sicher kann man darüber trefflich streiten. Mir hat es gar nicht gefallen und leider auch einen schalen Geschmack nach Zuschlagen der Buchdeckel hinterlassen.

Im Nachwort erklärt der Autor noch einiges zu seinem Werk – als was er es betrachtet und als was eben nicht. Er hatte nicht den Anspruch, einen historischen Roman zu schreiben, da er einiges für seine Geschichte arg zurechtgebogen hat. Es sollte nicht historisch korrekt sein, und überhaupt mag er es nicht, in ein Genre gepresst zu werden. Und das merkt man an vielen Stellen, vor allem aber an der modernen Ausdrucksweise seiner Charaktere und auch an deren modernen Einstellungen. Er hat viel recherchiert (und das glaube ich auch sofort), sich aber dann bewusst gegen einen historisch korrekten Roman entschieden. Vielleicht ein wichtiger Hinweis für alle, die sich in diesem Genre gerne aufhalten.

Wie bewerte ich nun diese großartige gestrickte Geschichte mit einer wunderbaren Atmosphäre, aber auch langatmigen Passagen und einem Ende, das mich enttäuscht? Schwierig – ich glaube, jeder muss selber entscheiden, ob ihn die angesprochenen Punkte stören oder eben nicht. Ich gebe daher 3,5 von 5 Sternen.