Im Sog moralischer Abgründe

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lui_ Avatar

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Das Cover ist wunderschön gestaltet. Titel und Autor springen sofort ins Auge, die dunkle Farbgebung wirkt geheimnisvoll und der Hintergrund verweist auf das maritime Setting, indem er an die unberechenbaren Wogen des Meeres erinnert.
Was den Inhalt angeht, sei auf den Klappentext verwiesen, um nichts weiter vorwegzunehmen. Ich hatte nach der Leseprobe etwas anderes erwartet. Das Buch spielt mit den Urängsten der Menschen, wobei der Aberglaube im Fokus steht - diese Herangehensweise hat mich überrascht und herausgefordert. Man sollte sich definitiv auf mystische und unerklärliche Elemente einlassen können, vor allem, da das Buch relativ umfangreich daherkommt. Des Weiteren geht es um Ränkespiele, Gier, Intrigen und Täuschungen.
Der Schreibstil ist wahnsinnig atmosphärisch und düster, vermag mitzureißen und hat für mich sowohl humorvolle Momente als auch den ein oder anderen Gruselmoment bereitgehalten. Interesse und/oder Vorkenntnisse, was maritimes Vokabular betrifft, sind durchaus hilfreich. Die Handlung wird aus vielen verschiedenen Erzählperspektiven wiedergegeben. Dadurch kam es mehrfach zu unnötigen Wiederholungen, was für mich auf Kosten der Spannung ging – ich hatte leider nur selten das Gefühl, das Buch nicht aus der Hand legen zu können und unbedingt weiterlesen zu müssen. Durch den häufig schnellen Wechsel der Sichtweise wurde mir außerdem der tiefere Zugang zu den Charakteren verwehrt.
Damit ein paar Worte zu den handelnden Personen: Es gibt keinen Charakter ohne moralische Abgründe und dunkle Vergangenheit. Das macht die Personen glaubwürdig und erinnert an einen Krimi noir, hat aber auch dazu geführt, dass ich keinen von ihnen wirklich sympathisch und gänzlich einnehmend fand. Irgendwie hatte ich das Gefühl, nicht richtig an die Charaktere heranzukommen, als würde immer noch eine Mauer zwischen ihnen und mir bestehen. Letztlich vermochte mich keins der Schicksale wirklich mitzureißen.
Die Verbrechen selbst werden unterhaltsam, aber auch sehr direkt geschildert, weshalb man Gewaltbeschreibungen abkönnen sollte. Die Auflösung des Ganzen hat mir sehr gut gefallen. Das Ende war für mich jedoch nach all dem Grauen fast etwas zu rosarot.
Dieses Buch lässt sich nicht in ein Genre einordnen. Es besitzt historische sowie Krimielemente, ist sowohl Grusel-/Geistergeschichte als auch Abenteuerroman. Der Einfallsreichtum, die Detailliebe des Autors und die Art, wie er Genregrenzen bewusst verwischt, haben mich zutiefst beeindruckt. Etwas in dieser Art habe ich noch nie zuvor gelesen und trotz kleinerer Kritikpunkte hat mich das Buch insgesamt gut unterhalten. Wer gerne Bücher über menschliche Abgründe beziehungsweise Gräueltaten vor dunkler, beklemmender Atmosphäre liest, offen für abergläubische Elemente ist, Krimis ohne Helden mag und gerne längere Zeit innerhalb einer umfangreichen und verzwickten Handlung verbringt, sollte hier unbedingt reinlesen.