Die Macht des Souffleurs ...

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
mh1987 Avatar

Von

Das Buch beginnt bereits Mitten im Geschehen: Auf einer Waldlichtung werden sechs abgetrennte Arme gefunden. Schnell ist klar, dass es sich dabei um die Arme der fünf kürzlich entführten Mädchen handelt. Doch wem gehört der sechste Arm? Dies ist eine der zentralen Fragen, die sich wie ein roter Faden durch den Plot zieht. Das erfahrene Ermittlerteam um die Kommissare Roche, Stern, den Verhörexperten Klaus Boris und Sarah Rosa, das auf den Fall angesetzt wurde, wird vom Profiler Goran Gavila und der Spezialistin im Auffinden verschwundener Kinder, Mila Vasquez, unterstützt. Gemeinsam sollen sie den Serienmörder "Albert" aufspüren. Relativ schnell taucht die Leiche des ersten Mädchens auf und der mutmaßliche Täter scheint gefunden zu sein. Doch der Schein trügt! Es folgt eine Schnitzeljagd der besonders grausamen Art: Das Team wird durch die unsichtbare Hand Alberts gesteuert von einer Mädchenleiche zur Nächsten geführt. Dabei stoßen sie ein ums andere Mal auf Verbrechen, deren Brutalität sich gegenseitig kaum übertrumpfen lässt.

Mit Albert hat Donato Carrisi einen genialen Psychopathen geschaffen, der es locker mit sämtlichen "Artgenossen" der zeitgenössischen Thrillerliteratur aufnehmen kann. Er spielt regelrecht mit seinen Mitmenschen und spinnt seine Fäden tiefer, als man sogar auf den zweiten Blick erahnen kann. Das Buch lebt von der Genialität und dem Einfallsreichtum des Bösen, die dem Leser den ein oder anderen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen und die sogar erfahrene Thrillerfans nicht auf Anhieb zu durchschauen vermögen werden. Als kleiner Schwachpunkt sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Buch durch die Schnitzeljagd und die vielen Spuren, die der Todesflüsterer legt, vielleicht etwas zu konstruiert wirkt, um noch zu einhundert Prozent logisch und glaubwürdig zu sein. Mancher Leser mag sich wohl fragen, wie die Ermittler ausgerechnet auf diese oder jene nicht sehr naheliegende Interpretation von Alberts Verbrechen kommen. Denn täten sie es nicht, würde die nächste Leiche nicht entdeckt werden und die Handlung wäre an dieser Stelle zu Ende ...Was ich persönlich sehr interessant finde, ist das Fehlen jeglicher Ortsangaben. Es wird mit keinem Wort erwähnt, wo genau Albert eigentlich wütet. Nicht einmal die Namen der Protagonisten lassen auf eine bestimmte Region schließen, da diese ein buntes Sammelsurium verschiedenster Ursprünge darstellen. Vermutlich möchte uns Donato Carrisi damit die Allgegenwärtigkeit des Bösen vor Augen führen, das jederzeit und überall zuschlagen kann. Mit diesem Aspekt im Hinterkopf wirkt die Handlung stellenweise noch düsterer.Wer einen bodenständigen Thriller mit dem Hauptaugenmerk auf Ermittlungsarbeit sucht, wird mit diesem Buch vermutlich nicht glücklich. Natürlich kommt der psychologische Aspekt nicht zu kurz und in die Person des Goran Gavila fließt viel von dem Wissen des Autors - studierter Kriminologe und Verhaltensforscher - mit ein. Dennoch wird die ein (oder andere), im Verlauf der Aufklärungsarbeit gebräuchlichen Methode dem Fan des investigativen Thrillers die Haare zu Berge stehen lassen. (Wer das Buch bereits gelesen hat, weiß, worauf ich anspiele.) Alles in allem dennoch ein sehr gelungenes Debüt, in dem die Spannung auf keinen Fall zu kurz kommt und das so manchen, eher zart besaiteten Leser bestimmt das Fürchten lehrt. Wir dürfen also zu recht auf Thriller-Nachschub aus Italien gespannt sein!