Geisterbeschwörung und ein Nachtkrapp

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Wien, 1895. Leopold von Herzfeldt freut sich schon darauf, den Abend in Begleitung von Julia Wolf zu verbringen. Die beiden sind bereits die Stufen zum Wiener Opernhaus hinauf, als Oberpolizeirat Stukart seinen Mitarbeiter zu einem Fall beordert. Es wurde eine Leiche in der Krypta des Stephansdoms gefunden. Ihr Gesicht ist vor Schrecken verzerrt. Gemeinsam mit Augustin Rothmayer muss sich der Inspektor nun mit übersinnlichen Kräften auseinandersetzen. Da passt es ausgezeichnet, dass der Totengräber auch gerade ein weiteres Buch über Übersinnliches schreibt. Mittels Séance soll mit den Verstorbenen Kontakt aufgenommen werden. Da allerdings auch immer wieder Waisenkinder verschwinden, ist Eile geboten, den Täter zu ermitteln. Mit zwei Fällen ist jede Menge zu tun und die Zeit wird knapp.

Oliver Pötzsch versetzt seine Leser nun schon zum dritten Mal ins Wien zum Ende des 19. Jahrhunderts. Inspektor Leo von Herzfeldt muss sich auf das Paranormale einlassen, das sein analytisches Denken natürlich als Unsinn entlarvt. Die Umgebung in den Gewölben ist beim Lesen sofort vorstellbar. Die feuchte Kälte legt sich auf die Haut und ich könnte schwören, dass auch das heimische Licht geflackert hat. Eine ganz große Stärke des Autors ist das Malen von verbalen Bildern. Die Stadt an der Donau zeigt sich mit ihren dunklen Ecken und man hört quasi den Hufschlag der Pferde. Die Ermittler führt es durch enge Gänge und zu geöffneten Gräbern. Dabei werden Hinweise gestreut, die sich erstmal nur schwer erkennen lassen. Je fortgeschrittener der historische Krimi ist, desto mehr kann man erschließen. Die beiden Fälle sind kniffelig angelegt und halten die Spannung bis zum Ende.

Die Figuren sind ebenfalls bei genauerem Hinsehen sorgfältig zusammengestellt. Sie verkörpern jeweils einen Teil der damaligen Gesellschaft, wobei teilweise historisch belegte Charaktere eine Rolle übernehmen. Der Inspektor ist zwar fiktiv, polarisiert aber gleich auf zwei Ebenen: Der aus Graz stammende Adelige spricht nur hochdeutsch und ist Jude. Er wird von seinen Wiener Kollegen als Piefke abgetan. Julia ist alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes. Selbst ein halbes Jahrhundert später hätte sie wohl noch die abschätzigen Blicke der anderen gespürt. Die Verbindung der beiden wäre sicher nicht nur wegen des Zusammenarbeitens bei der Polizei kritisch angesehen, was Kollege Stukart immer wieder einfließen lässt. Mein heimlicher Held ist allerdings Augustin Rothmayer, der das Waisenkind Anna bei sich aufgenommen hat und bei ihr eine weiche Seite erkennen lässt. Als Totengräber wohnt er zurückgezogen auf dem Friedhof. Mit Herzfeldts Mutter und dem als Tourist auftauchenden Arthur Conan Doyle kommen zwei weitere Figuren hinzu, die die Geschichte beleben. Gerade die Baronin lässt uns ihren Sohn besser kennenlernen.

Der dritte Band beschäftigt sich mit dem Übernatürlichen. Es werden die Geister Verstorbener angerufen und sogar seltsame Schatten auf den entwickelten Fotos entdeckt. Tatsächlich war es zu der Zeit in Mode, an Séancen teilzunehmen. Berühmte Persönlichkeiten glaubten fest an diese Form der Kontaktaufnahme und den Eingebungen. Dass es auf diesem Gebiet auch genügend Betrüger gab, ist nur zu glaubhaft. Das Gesellschaftsbild wird weiter ausstaffiert, indem Themen wie Antisemitismus und die Stellung der Frau in den Vordergrund rücken. Rothmayer schimpft auf die neuen Erfindungen, die ihm angeblich das Leben erleichtern sollen und lenkt den Blick auf den Fortschritt der Mechanisierung. Insgesamt ergibt das ein rundes Bild der Epoche.

Der Totengräber und der Mord in der Krypta führt Inspektor Leo Herzfeldt und seine Kollegen in die dunklen Gewölbe unterm Stephansdom. Düster sind auch die Fälle, die im dritten Band zu ermitteln sind. Es geht ums Übernatürliche und um verschwundene Waisenkinder. Bis die Fäden zusammenlaufen erhöht sich die Spannung stetig. Es gibt genügend Verdächtige, sodass man erst kurz vor der letzten Seite auf die Lösung kommt. Ein kleiner Cliffhanger lässt auf einen vierten Fall hoffen, was ich mir auch wünschen würde.