Überaus fesselnder Roman über die Frühgeschichte der Kinematographie 4,5 Sterne

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Inhalt
Konstantin „Tino“ Reichenbach, Sohn einer wohlhabenden Bankiersfamilie, verliebt sich in die Jüdin Rahel Rosenberg, eine unkonventionelle junge Frau, deren Lebensziel nicht die Ehe ist, sondern eine Berufslaufbahn als Journalistin. Für Tinos Mutter, die versnobte Constanze, die den Zeiten und Sitten des Kaiserreichs nachtrauert, kommt eine Jüdin als Schwiegertochter nicht in Frage; ihr Mann Gustav, der ihr hörig ist, wagt es nicht, gegen seine dominante Frau aufzubegehren. So kommt es zum Bruch zwischen Tino und seiner Familie, er scheidet aus der Bank aus und engagiert sich beruflich in der gerade aufkommenden Filmindustrie an der Seite seines guten Freundes, des Filmproduzenten Erich Pommer. Die Zusammenarbeit der beiden Männer ist nicht gleich von Erfolgen gekrönt, vielmehr müssen sie auch bedenkliche finanzielle Risiken in Kauf nehmen. Auch Tinos Beziehung zu Rahel, die auf ihrer Unabhängigkeit besteht, verläuft keineswegs konfliktfrei und ein Eklat führt zum Bruch. Auch als Rahel feststellen muss, dass es für eine Frau so gut wie unmöglich ist, als Journalistin ernstgenommen zu werden und sie in finanzielle Schwierigkeiten gerät, verliert sie ihren Stolz nicht und bleibt sich treu.

Beurteilung
Das Schicksal der beiden Protagonisten Tino und Rahel wird vor dem sehr gründlich recherchierten Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Deutschland der 1920er Jahre geschildert. Unterschiedliche politische Gruppierungen, völkisch-nationale sowie demokratisch-liberale, kämpfen um die Herrschaft in Deutschland, Attentate auf Politiker und Putschversuche sind schon beinahe an der Tagesordnung. Auch wirtschaftlich sind die 1920er Jahre eine kritische Zeit; durch die galoppierende Inflation geraten viele Menschen in Not und können sich nicht einmal ausreichend Lebensmittel und Heizmaterial leisten. Andererseits ist die Zeit von bahnbrechenden technischen Neuerungen geprägt. Sehr anschaulich wird erzählt, wie sich der Film, der ursprünglich der Kriegspropaganda dienen sollte, zu einer eigenen Kunstgattung entwickelt, die in Lichtspielhäusern einem breitgefächerten zahlenden Publikum präsentiert wird. Berühmte Stummfilme der Zeit sind etwa „Dr. Mabuse, der Spieler“, „Das Kabinett des Dr. Caligari“ und „Metropolis“. Im Zusammenhang mit der Frühgeschichte der UFA macht der Leser Bekanntschaft mit vielen berühmten Produzenten, Regisseuren, Drehbuchautoren und Schauspieler(inn)en der Zeit, wie Fritz Lang und seine Frau Thea von Harbou. Sehr interessant sind auch weitere Neuerungen, wie etwa die Einführung von Werbung im Radio nach Einführung des Öffentlichen Rundfunks im Jahr 1923. Danach war es nur ein kleiner Schritt zur Einführung von Werbefilmen in den Lichtspieltheatern, um eine große Zahl potenzieller Konsumenten anzusprechen.
Der Erzählstil des Romans ist sehr anschaulich und fesselnd, der Leser fühlt sich direkt in die 1920er Jahre versetzt. Die Romanfiguren sind in ihren Charakteren differenziert ausgestaltet, wirken jedoch gelegentlich etwas überzeichnet. Die Figur der Constanze Reichenbach macht für eine Frau ihrer Generation keinen allzu realistischen Eindruck, auch ihr Mann scheint mit seinem geradezu hündisch unterwürfigen Verhalten nicht ganz lebensecht. Angesichts der hervorragenden Recherche und des überaus faszinierenden Panoramas der Weimarer Republik, die hier geboten werden, fällt es jedoch leicht, über diese Kritikpunkte hinwegzusehen.
Eine „Notwendige Nachbemerkung“ des Autors zur verwendeten politisch inkorrekten Sprache der Zeit sowie ein Personenverzeichnis mit Auflistung fiktiver Figuren und historischer Persönlichkeiten runden den lesenswerten Roman ab.

Fazit
Ein überaus fesselnder Roman über die Frühgeschichte der Kinematographie zur Zeit der Weimarer Republik, der schon Vorfreude auf den Folgeband weckt!