Unbedingt lesenswert!

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kainundabel Avatar

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Prag, unmittelbar vor Ausbruch des 1. Weltkriegs: Das jüdische Ehepaar Laibl und Rifka Goldenhirsch lebt in ärmlichen Verhältnissen, als der Mann zum Militär einberufen wird. Wunderbar, wie Bergmann die Beziehung der beiden beschreibt, wenn es etwa heißt, dass Rifka mit Verwunderung zur Kenntnis nahm, dass ihr Ehemann „im Sinne der Haushaltsführung vollkommen nutzlos gewesen war. Dennoch fehlte er ihr. Noch nie hatte sie etwas so Unnützes mit solcher Leidenschaft vermisst“.
Ja, sie lieben einander, er erfüllt seine ehelichen Pflichten, die erhoffte Schwangerschaft mit einem Sohn bleibt dennoch aus. Während seiner Abwesenheit scheint ein Nachbar dafür gesorgt zu haben. Nach Laibls Heimkehr von der Front versucht Rifka ihm ihren Zustand als Folge einer unbefleckten Empfängnis plausibel zu machen, für die es ja ein sattsam bekanntes Vorbild gibt. Herrlich!
Und um eben diesen Sohn Mosche (passenderweise auch der Name des besagten Nachbarn) dreht sich alles in Emanuel Bergmanns Erstlingsroman „Der Trick“. Als Fünfzehnjähriger schließt sich Mosche Goldenhirsch 1934 einem Zauberzirkus an und folgt ihm nach Deutschland. Auch wenn der Zirkus selbst ein katastrophales Ende nimmt, macht Mosche als „Der Große Zabbatini“ Karriere auf den Varietébühnen der Welt.
Doch seine Magie reicht nicht aus, um dem Schicksal der Juden in der unsäglichen Naziherrschaft zu entgehen. Die SA-Männer, die seine Auftritte im Wintergarten frenetisch bejubeln, verhaften und foltern ihn und bitten ihn – welch zynische Perversion – vor dem Abtransport nach Theresienstadt um ein Autogramm.

Parallel dazu entwickelt der Autor einen zweiten Erzählstrang. Der zehnjährige Max Cohn macht sich 2007 in Los Angeles auf die Suche nach diesem legendären Zauberer, von dessen Liebes-Zauberspruch er sich erhofft, dass die Ehe seiner Eltern nicht vor dem Scheidungsrichter endet. Er findet ihn tatsächlich – als alten, grantigen, abgehalfterten, lebensmüden, Kinder hassenden Altenheimbewohner, der schließlich sogar notgedrungen Quartier bei Max und seiner Mutter bezieht.

Bergmann lässt auf diesen beiden Erzählebenen das Leben Zabbatinis mit all seinen Höhen und Tiefen, seinem Glück und seiner Tragik lebendig werden. Schon von den ersten Zeilen an hat mich die Geschichte fasziniert. Welch eine Sprache, einfach und doch so eindrücklich, bildhaft, humorvoll, ernst und heiter zugleich, lakonisch und überaus treffend, zärtlich, hart, unverblümt. Als Liebhaber der Zauberkunst kommt man voll auf seine Kosten, gewährt Bergmann doch auch Einblicke in die geheimnisvolle Welt der Magie. Was sich hinter dem „Trick“ verbirgt, erfährt der Leser im Verlauf der Lektüre. Seine ungemein überraschende Rolle bleibt bis zum Schluss verborgen (die hier natürlich nicht verraten wird!).
Auch wenn mir die einheitliche Covergestaltung der Diogenes-Bücher nicht unbedingt zusagt, ist der Ausschnitt aus einem Plakat von 1915 als Umschlagillustration mit sicherem Gespür für den Inhalt ausgewählt worden.
Fazit: Unbedingt lesenswert!