Grandios, trotz Schwächen, hat Jenn Lyons mit „Der Untergang der Könige“ ein wirklich großes Fantasy-Epos begonnen.

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„Der Untergang der Könige“ macht so vieles richtig und bei vielem ist mir wirklich das Herz aufgegangen. Der Auftakt zu diesem Epos von Jenn Lyons ist nicht perfekt, aber ich freue mich schon jetzt schon riesig auf den nächsten Band um Kihrin.

„Erzähl mir eine Geschichte.“

Schon dieser erste Satz hat mich fasziniert. Und er hat mich an Rumos „Erzähl!“ in Walter Moers Rumo-Band erinnert. Aber so positiv Rumos Wissensdurst in jenem Fall ist, so diabolisch die Aufforderung zum Erzählen in „Der Untergang der Könige“: Denn hier zwingt ein Monster Klaue den jungen Kihrin im Kerker seine eigene Lebensgeschichte zu erzählen.

Begeisterung

Und dann bleibt Kihrin nicht einmal die Deutungshoheit darüber, denn das Monster übernimmt den Gegenpart. Und so erzählt sich die gesamte Geschichte über einen komplexen Aufbau aus Rede und Gegenrede und beides ist eingefasst von einer Art Herausgeber, der das ganze Buch mit 161 Fußnoten versieht und dessen wahre Rolle innerhalb der Geschichte sich erst sehr spät zeigt. Auch, wenn es manchmal verleitet, die Fußnoten zu überspringen, empfehle ich aber die Fußnoten UNBEDINGT zu lesen. Denn da sind einige Überraschungen verborgen, die helfen, den Haupttext besser einzuordnen.
Die kunstvolle Verschachtelung gelingt der Autorin Jenn Lyons grandios, und es hat mir schon alleine deswegen Spaß gemacht „Der Untergang der Könige“ zu lesen. Dann die Welt, die sie baut, losgelöst von den üblichen Klischees, erfindet sie etwas Neues. Und dann die Sprache, nüchtern mal, dann wieder überbordend, dann zärtlich:

„Es war die Art Baum, in dem Galava leben würde, hätte sie einen ihr geweihten Ort gehabt. Er wirkte unsterblich, vollkommen zeitlos, als wäre er schon immer gewesen und würde immer sein. Wir steckten ihn in Brand.“

Von den ersten knapp 300 Seiten war ich völlig gefesselt. Vergleiche bei Testimonials sind für mich ja immer Schall und Rauch und ich versuche sie schnell wieder zu vergessen. Aber hier gab es für mich tatsächlich endlich einen würdigen Nachfolger für Patrick Rothfuss’ Königsmörder-Chronik, auf deren dritten Band ich wie so viele ja schon seit Jahren warte. Diese Welt, diese Figuren, die nicht so glatt sind. Die Geschichte, bei der nicht die immer selben Figuren und Wendungen zum Einsatz kommen.

Ein Schuss Ironie?

Leider kumulieren dann die vielen Figuren, Zusammenhänge und Namen so sehr, dass das Tempo dann etwas nachließ – und leider meine Begeisterung ebenfalls. Botenberichte setzten Kirin und uns als Leser*innen auf den Stand, was denn die Hintergründe von all dem sind. Zum Schuss hin immer mehr das Gefühl, dass die Autorin dies nicht ganz ernst meint. Dass sie hier ein ironisches Statement setzt gegen Fantasy-Geschichten, die sich selbst und ihre Welt zu ernst nehmen wollen. Und das wäre dann wirklich genial, oder?

Und so zog es wieder an und ich war eigentlich auch das ganze Buch fasziniert, denn die Autorin macht so unglaublich vieles richtig: Da gibt es einen Dialog mit dem 15jährigen, minderjährigen Kihrin über „Consent“/Zustimmung bei sexuellen Handlungen, eine Aufklärung, die sich viele zu Herzen nehmen sollten. Da geht mein Herz auf, wenn ich das lese. Und auch, wenn das Buch manchmal schon ganz schön blutig ist, wird hier keine sexuelle Gewalt explizit geschildert. Im Gegenteil, denn es wird die Verletzung durch Vergewaltigung klar benannt. Dazu gibt es tolle Frauen- und LGBT-Protagonist*innen. Und auch das Konzept der Held*in definiert Lyons so wundervoll:

„Ich sage dir jetzt etwas, das keiner von all den Möchtegernhelden je kapieren wird: Es ist immer beides. Glück und Pech. Freude und Schmerz. Sie sind deine ständigen Begleiter. Und das wird auch nicht besser, wenn du dich mir anschließt. Ein Held, dem nie etwas Schlechtes widerfährt, ist kein Held – sondern ein Sonntagskind.“

Aber was das Buch so besonders macht: Es geht darum, was Freiheit bedeutet. Und Herrschaft und Sklaverei. Herrschaft und Knechtschaft. Mehr möchte ich dazu nicht verraten.

Fazit

Ein eindrucksvolles Debüt und Fantasy-Epos, auch, wenn es nicht perfekt ist. Die Metaebene und und die ironischen Anteile gaben für mich den Ausschlag: Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und runde auf.