Zu weit gehende brillante Satire

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Vorab: „Der Vorweiner“ war mein erstes Buch von Bov Bjerg, ich war also frei von Erwartungen, die aus früherer Lektüre resultieren könnten, und fand den Schreibstil auf den ersten wenigen Seiten faszinierend. Nun, nach der Lektüre bin ich … ja, was denn?!

Ob man „Der Vorweiner“ als Dystopie betrachtet, hängt wohl vom Standpunkt ab – der Verlag versteigt sich auf „Roman“ (tja, das trifft sicher) – für mich ist es wohl am ehesten eine Satire (in dystopischer Parabelform – oder so). Die Handlung (so man davon sprechen will) spielt in einer Restwelt zu Ende des 21. Jh.: Der größte Teil der Welt ist überflutet, die Existenz eines Lebens hängt an der Datenlage darüber, die Oberschicht delegiert lästige Aufgaben an die Unterschicht, Gefühle Fehlanzeige. Da klingt es logisch, dass man beim Tod einer Person „Trauernde“, sogenannte Vorweiner, mit dem Trauern beauftragt. Dieses Konstrukt wird von einer Beteiligten eines „Vorweiner-Trios“ (eine Texterin, ihre Tochter sowie der Vorweiner der Texterin) erzählt.

So manches in „Der Vorweiner“ erinnert an unsere heutige Welt bzw. treibt es auf die Spitze. Ja, Übertreibung ist sicher eines der Kennzeichen der Geschichte und die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen (es gibt Auffanglager – deren Namen schon verblüffen, etwa Neuschwanstein – was das für Assoziationen auslöst … es gibt Flüchtlinge, deren Herkunft etwas verblüffen mag, die jedoch wie heute die Aufgaben übernehmen dürfen, die sonst keiner erledigen will usw.). Insofern übt Berg in seinem Roman Gesellschaftskritik, hält uns den Spiegel vor. Das wäre auch gut gelungen, wäre die Welt vollends stimmig, was sie aber nicht ist, denn irgendwie passt alles nicht recht zusammen: Wenn die Existenz des Menschen letztlich von Daten abhängt und nach dem Tod nichts (!) übrigbleiben soll, warum ist die Trauer um ihn dann wichtig? Vielleicht hat auch Berg da selbst die Haftung an seinen Text verloren, denn nach spätestens zwei Dritteln tüdelt der Text ein bisschen vor sich hin und wird dann wirklich wirklich schräg, um nicht zu sagen ekelhaft, womit wir wieder bei der Überspitzung wären. Die Sprache ist faszinierend abwechslungsreich, mal komisch, eigentlich immer lakonisch, an sich perfekt geeignet für einen Text, mit dem man seine Leserschaft mit ihrem (aus Außensicht) seltsamen Verhalten konfrontieren will. Ja, Berg will provozieren; ja, das mag auch nötig sein; ja, Überspitzung kann ein Stilmittel sein; aber nein, so ekelhaft wie so manche Beschreibung hätte es meines Erachtens nicht sein müssen. Für mich waren es die kleinen Seitenhiebe nebenbei, die mich viel mehr überzeugten als manch drastische Schilderung, die mich ob ihrer Plattheit nur abstößt. Fazit (um mich selbst mit dem Buch ins Reine zu bringen): brillante Satire, die in manchem jedoch zu weit geht und deshalb 3 Sterne bekommt.