Der weiße Fels

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teoteo Avatar

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Dabei verknüpft Anna Hope vier Geschichten, die teils Jahrzehnte, teils Jahrhunderte voneinander getrennt sind. Eine eindrucksvolle Zeitreise, die rund 250 Jahre umspannt; mit der scharfkantigen Formation im Meer als eine Art erzählerischer Anker im Raum. Hopes Roman handelt vom Schrecken des Kolonialismus ebenso wie vom zeitlosen Wahnsinn des Menschseins.

Durchaus bezeichnend ist dabei, wie sehr der Fels für Hopes Figuren zur Projektionsfläche ihrer jeweiligen Wünsche und Befürchtungen wird. Denn wie bei einem Rorschach-Test glaubt jede und jeder etwas anderes in ihm zu erkennen: ein Gesicht mit tiefen Augenhöhlen, ein leidendes Monster oder gar Jesus Christus.

"Er richtet sein Fernrohr auf den Felsen, eine eigenartige, weiße Klippe, neben der sie seit drei Tagen vor Anker liegen. Aus den meisten Richtungen bietet sie ein unscheinbares Bild, aber nun, da er den Blick gen Nordnordwest richtet, erinnert sie auf unheimliche Weise an das Antlitz des Herrn – weiße Robe, wie zur Einkehr niedergeschlagene Augen und in spanischer Manier gestutzter Bart, dessen Spitze sich dunkel im Wasser verjüngt."

Besagter "er" ist ein wackerer spanischer Kapitänleutnant des 18. Jahrhunderts, für den es ein reales Vorbild gibt. Im Auftrag des Königs soll er von San Blas aus die amerikanische Westküste erkunden und damit natürlich vor allem in Besitz nehmen; sein Glaube an Vernunft und Wissenschaft wird an diesem Ort jedoch grundlegend in Frage gestellt.