Ein großartiges Lesevergnügen

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mrsamy Avatar

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Eine Schriftstellerin, ein Sänger, ein Mädchen des indigenen Yoeme-Stammes und ein spanischer Leutnant. Vier ganz unterschiedliche Charaktere und Lebenswege zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Doch eines haben sie gemeinsam: an Wendepunkten in ihrem Leben führt sie das Schicksal an einen weißen Felsen, der einem mexikanischen Küstenstädtchen vorgelagert ist. Der weiße Fels ist das verbindende Element dieses beeindruckenden Romans von Anna Hope. In Kapiteln steigt man als Leser über die Schriftstellerin und das Jahr 2020, den Sänger in 1969 weiter hinab über das Mädchen in 1907 und den Leutnant im Jahr 1775 bis man schließlich in der Mitte des Buches am weißen Felsen selbst ankommt. Von dort aus steigt man die Treppe in Kapitel wieder hinauf, bis man zuletzt wieder bei der Schriftstellerin ankommt. Es ist schon dieser Aufbau des Romans, der mich beeindruckt hat, weil hier eine klare Geometrie, eine klare Logik zugrunde liegt. Und die Geschichten selbst, in denen wir nie die Namen der Protaginsten erfahren außer ihrer herausragenden Charakteristik, das was sie im Kern ausmacht, wie eben Schriftstellerin, Sänger, Mädchen, Leutnant. Sie alle haben eine sehr angenehme Länge, sie sind nicht zu kurz, nicht zu lang. Sie reichen gerade aus, um sich tief in die einzelnen Handlungsstränge einzufühlen und die eigene Neugier zu wecken. Alle Protaginsten befinden sich an entscheidenden Wendepunkten in ihrem Leben. Von allen wird eine Entscheidung abverlangt, die nur sie alleine treffen können, die aber maßgeblich für ihren weiteren Weg sein wird.

Mich hat vor allem die Geschichte des Mädchens vom Yoeme-Stammes tief beeindruckt. Es sind die Mitglieder eines Volksstammes die von ihren Ländereien 1907 vertrieben und auf Schiffen fernab der Heimat deportier wurden, um sie nach einem langen Marsch durchs Gebirge Sklaven gleich auf Sisalplantagen einzusetzen. Aber auch die anderen Handlungsstränge haben mich beeindruckt und mitgenommen. Anne Hopes Roman „Der weiße Fels“ ist brillant, in seinem Aufbau, seiner literarischen Qualität aber auch in seiner Sachkenntnis der jeweiligen historischen Ereignisse. Ein großartiges Lesevergnügen.