Wiege der Menschheit

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bobbi Avatar

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In ihrem neuen faszinierenden Roman „Der weiße Fels“ verwendet die englische Autorin Anna Hope einen heiligen Ort im Meer von Mexiko als Drehpunkt für ihre vier bewegenden Geschichten, die zwischen den Epochen wechseln. Der Piedra Blanca, der weiße zerklüftete mythische Fels vor San Blas lockt seit Jahrhunderten die Menschen an und für die Yoeme-Indigenen der Wixárika entstand dort sogar einst die Welt.

Auch wenn die unterschiedlichen, eher nachdenklichen Geschichten nicht miteinander verbunden sind, lässt Hope wiederkehrende Motive wie das Machtstreben des Menschen, Kolonialisierung, die Klimakrise sowie Schmerz, Liebe und Hoffnung immer wieder aufblitzen. Da ist eine namenlose Schriftstellerin im Jahr 2020, die autobiografische Züge der Autorin trägt und zum Fels pilgert, um eine Opfergabe niederzulegen – ein schamanisches Ritual dort hat ihr einst zur Schwangerschaft verholfen, nun reist sie mit ihrer kleinen Tochter und ihrem zukünftigen Ex-Mann an. Im nächsten Kapitel sucht der von Drogen und Alkohol gezeichnete Rockstar Jim Morrison Zuflucht in diesem Gebiet – die USA ist im Vietnamkrieg-Trauma und Jim von inneren Zweifeln zerrissen. Darauf erzählt Hope die ergreifend-traurige Geschichte von nach Yucatan verschleppten Yoeme-Indigenen, in der zwei Mädchen ums Überleben kämpfen. Und der letzte Erzählstrang führt weit zurück ins Jahr 1775 der Eroberungen und Erkundungen, in dem ein spanischer Leutnant auf den richtigen Wind wartet, um nordamerikanische Küste zu erforschen.

Nicht jede Zeitebene über die 250 Jahre verteilt erzählten Geschichten ist gleich stark und doch ist die Gesamtkomposition von Anna Hope innovativ und gelungen. Sie schreibt sehr filmreif, dicht in der jeweiligen Atmosphäre und mit viel empathischem Gespür für die jeweiligen Protagonisten. In der Mitte des Buches wird sogar der Fels poetisch beschrieben, bevor die Geschichten in umgekehrter Reihenfolge eindringlich weitererzählt werden. „Der weiße Fels“ ist eine nachdenkliche und tiefgründige Lektüre, die wie im Leben offene Enden lässt und noch länger im Kopf nachhallt.