Zu konstruiert, zu gewollt

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ein.lesewesen Avatar

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Zentrales Thema in Allendes neustem Roman ist die Kinderflucht.
Es beginnt mit Samuel Adler, der mit 6 Jahren kurz nach der Pogromnacht mit Tausenden anderen jüdischen Kinder nach England geschickt wird. Er wird seine Eltern nie wieder sehen. 80 Jahre später flüchtet die 7-jährige Anita mit ihrer Mutter aus Angst vor der Gewalt in El Salvador in die USA. Unter der Regierung Trumps werden dort Kinder von ihren Eltern getrennt. Wie viele andere landet Anita in einem Lager, immer in der Hoffnung, ihre Mutter wiederzusehen.

Der Klappentext des Buches ist noch wesentlich blumiger und spektakulärer und es hätte eine emotionale Geschichte werden können. Hätte. Leider hat Allende es nicht geschafft, Emotionen bei mir zu wecken. Fast berichtartig jagt sie durch die Jahrzehnte, reiht auf eine bemühte Art Ereignis an Ereignis, streut alltägliche Nebensächlichkeiten ein und wenig glaubwürdige Dialoge. Alles wirkt reichlich konstruiert, um bei dem von ihr angestrebten Ende anzukommen. Umständliche Konjunktiv- und Passivkonstruktionen tun ihr Bestes, die Distanz zum Leser noch zu vergrößern. Es wird zusammengerafft, was nur geht. Für mich fühlte sich alles an, als würde ich Ähnliches bereits aus den Nachrichten oder aus Dokus kennen.

Zu viele Informationen werden vermittelt und ersticken die eh schon karge Handlung. Sie verliert sich in Einrichtungsbeschreibungen und reiht zahlreiche Menüfolgen aneinander, was leider keine Atmosphäre schafft, ja noch nicht mal authentisch wirkt, da oft um spanische Worte handelt, die übersetzt auch Bahnhof bedeuten können.

Zu viele schablonenhafte Figuren, die am Ende unwichtig sind, eine verschüttete Geschichte, die wahrscheinlich rührender gewesen wäre, hätte sie sich darauf konzentriert. Sie berichtet, kommentiert, streut Infos ein, um Zusammenhänge zu erklären, anstatt uns diese wirklich dramatischen Erlebnisse fühlen zu lassen. Und am Ende ist es einfach vorbei. Bisschen zu fix.

Ich denke, sie hat hier ein großes Anliegen gehabt, was vom Grundgedanken eine großartige Geschichte hätte werden können. Aber es fehlte an Tiefe, an Allendes magischem Realismus, kurzum, ich bin enttäuscht. Im Übrigen auch von der Übersetzung, die Anitas kindliche Gedanken in ein nacktes Schriftdeutsch übertragen hat, was völlig unglaubwürdig klingt.

Ich habe im letzten Jahr so viele großartige Bücher zum Thema Flucht gelesen, die mich berührt haben, deren Schicksale glaubhaft waren und die mir die vielen Zusammenhänge deutlich gemacht haben. Mag sein, dass es daran lag, dass mich Allende nicht erreichen konnte. Ich denke aber, sie wird ihre Leserinnen finden, die die nicht ganz so im Thema sind wie ich.