Zu viele Charaktere verderben die Poesie

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katicey Avatar

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Nach seinem ersten Buch „Der Postbote von Girifalco“ entführt uns Autor Domenico Dara mit „Der Zirkus von Girifalco“ erneut in sein Heimatdorf in Kalabrien, Italien. Diesmal ist es nicht der Postbote, sondern ein Zirkus, der das Leben der Dorfbewohner, zum Teil sehr nachhaltig, beeinflusst. Doch es ist nicht der eine Zirkus, der jedes Jahr um die gleiche Zeit im Dorf gastiert. Der ist zum üblichen Datum einfach nicht aufgetaucht. Dafür hat sich ein anderer, unbekannter Zirkus nach Girifalco verirrt, die Einladung zum Bleiben angenommen und so zu einem überaus denkwürdigen Sommer für die Bewohner von Girifalco beigetragen.

Das Buch ist keine leichte Lektüre. Es beginnt mit den wenig einprägsamen und nicht immer einfach zu lesenden Namen der Dorfbewohner, die mich anfangs immer mal wieder ins Stocken gebracht haben. Hinzu kommen die überaus poetische, märchenhafte Sprache und die vielen philosophisch anmutenden Formulierungen und Fragestellungen. Es ist ein Buch, das Zeit braucht, damit man das Geschriebene verarbeiten und auf sich wirken lassen kann. Die Geschichten der Dorfbewohner verstecken sich manchmal regelrecht unter der bildgewaltigen, atmosphärischen und ausufernden Sprache von Domenico Dara und man muss sich konzentrieren, um den roten Faden nicht zu verlieren.

Oder sollte ich sagen, DIE roten Fäden? Denn es sind viele Geschichten, die erzählt werden - für mich etwas zu viele. Es gibt nicht den einen Protagonisten, keinem Dorfbewohner wird auffällig mehr Raum im Buch gewährt als allen anderen. Die einzelnen Schicksale sind mal mehr, mal weniger miteinander verwoben. Die einzelnen Verstrickungen werden nach und nach aufgedeckt und manchmal ist es schwer, den Überblick zu behalten. Nach jedem Kapitel wird zu einer anderen Geschichte, einer anderen Person gewechselt und dabei sind die Kapitel häufig nur 2-3 Seiten lang. Gerade am Anfang habe ich manchmal einen Moment gebraucht, um mich daran zu erinnern, für welche Eigenschaften und welche Geschichte der jeweilige Charakter stand. Das detaillierte Verzeichnis zu den agierenden Personen am Ende des Buches wäre wirklich hilfreich gewesen, wenn ich denn davon gewusst hätte. Leider findet sich auf den ersten Seiten keinerlei Hinweis zu diesem Verzeichnis und so habe ich es erst gefunden, als ich mit lesen fertig war.

Ein fester Handlungsstrang, um den sich weitere Nebengeschichten aufbauen, fehlt in diesem Buch vollständig. Stattdessen setzt sich aus den vielen einzelnen Erzählsträngen einem Mosaik gleich ein Gesamtbild zusammen von den Bewohnern Girifalcos und all ihren Wünschen, Sehnsüchten und Träumen, ihren Sorgen und Nöten und ihren guten Taten genauso wie ihren Fehlern und Verfehlungen. Girifalco gleicht einem Mikrokosmos, der das Leben der großen weiten Welt mit all seinen Facetten in kleinem Maßstab widerspiegelt.

Viele der der im Verlauf des Buches offenbarten Wünschen und Sehnsüchte erfüllen sich, allerdings nicht immer so, wie ich mir das ausgemalt hatte. Hier trafen meine eher romatischen Vorstellungen eines rosaroten Happy Ends auf teilweise recht pragmatische aber wohl auch deutlich realistischere „Lösungen“, die für den einen oder anderen Betroffenen aber durchaus zu einem glücklicheren Dasein beitragen dürften.

Wer bei „Der Zirkus von Girifalco“ hochgradige Spannung erwartet, wird enttäuscht. Es ist eher ein Buch der leisen Töne und unter anderem für jeden zu empfehlen, der in Poesie aufgehen und sich in philosophischen Denkansätzen verlieren kann und der der Anziehungskraft von Märchen auch im Erwachsenenalter weder entfliehen kann noch will.