Bissige Zuneigung

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dj79 Avatar

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Max und seine Großeltern fliehen aus der dahinscheidenden Sowjetunion und kommen als Achteljuden bzw. mit kaum noch ermittelbaren, jüdischen Wurzeln nach Deutschland. Dort wohnen sie in einem, zum Flüchtlingswohnheim umfunktionierten, ehemaligen Hotel einer Kleinstadt. Max‘ Großmutter, Margarita Iwanowna, wettert mit einem Mundwerk, das mit Seife ausgewaschen gehört, gegen die Unterbringung, gegen die deutschen Ärzte und das deutsche Schulsystem, gegen Juden und andere Religionen, eigentlich gegen die ganze Welt. Sie beleidigt ihren Enkel und ihren Ehemann, Tschingis Tschingisowitsch, der stoisch sein Schicksal erträgt.

Wegen unzähliger, von der Großmutter angedichteter Krankheiten muss Max sehr auf seine Gesundheit achten. Süßigkeiten und Kuchen wurden von seinem Speiseplan verbannt, dafür gibt es leicht verdauliche, wenig schmackhafte Breie aus Gemüse oder Getreide. Wir lernen Mäxchen kurz vor seiner Einschulung kennen und begleiten ihn bis ins Teenageralter. Obwohl seine Großmutter ihn stets klein redet, ihm quasi überhaupt nichts zutraut, meistert Max kleine und große Herausforderungen am Band. Eigentlich möchte Margarita nur jegliche Gefahr von ihm fern halten. Das einfach mal zuzugeben, scheint ihr unmöglich. Alles, was sie Max zur Liebe tut, macht sie ihm zum Vorwurf. Max navigiert von klein an klug durch das Minenfeld der Erziehung und hält sämtlichen Demütigungen stand. Dafür mag ich ihn unheimlich gern.

Als sich der gepeinigte Großvater Tschingis neu verliebt, lässt er seine „alte“ Familie nicht einfach im Stich, sondern kümmert sich verantwortungsvoll um alle Familienmitglieder. Wie er in seiner ruhigen Art die Patchworkfamilie managet , verdient meinen vollen Respekt. Irrwitziger Weise mag ich trotz ihrer Schnodderigkeit und Unterdrückungsmentalität, trotz des permanenten Mobbings, das sie auf ihr Umfeld prasseln lässt, Margarita Iwanowna am meisten. Vielleicht hatte ich auch ein wenig Mitleid mit ihr. Für die Auswanderung hat sie neben ihrer Heimat ihr gesamtes früheres Leben aufgegeben. Am Ende möchte sie doch auch nur das beste für ihre Familie.

Alina Bronsky lässt uns über Dinge lachen, worüber man eigentlich nicht lacht. Sie lässt die Großmutter Dinge tun, die tabu sind. So wurden wir doch erzogen. „Der Zopf meiner Großmutter“ spricht alle bösen Gedanken, die vielleicht den ein oder anderen bei der Kindererziehung beschleichen, laut aus. Die Angst um ein Kind wird durch das Erzählen von „Schauermärchen“ an das Kind weitergegeben. Der rasante Schreibstil, die unterschwellig mitschwingende Boshaftigkeit haben mir so gut gefallen, dass ich unbedingt noch mehr Bronsky-Bücher lesen möchte.