Dysfunktional funktioniert auch irgendwie...

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laberlili Avatar

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Ach, Mäxchen… als Kind kommt der Ich-Erzähler dieser Novelle in Begleitung seiner Großeltern nach Deutschland, wobei nicht nur der Großvater, sondern vor Allem auch der kleine Maxim, völlig unter der Fuchtel der bestimmten (und bestimmenden) Großmutter stehen. Sie schreibt ihrem Enkel alle möglichen Krankheiten zu, obschon es diesem auf den ersten Blick sehr gutgeht, und hält dann auch die deutschen Ärzte prompt für inkompetent als diese dem kleinen Max beste Gesundheit bescheinigen; auch Lehrkräfte werden später von ihr abgekanzelt – schlimmer: Vor Allem ihr Enkel wird von ihr ständig abgekanzelt und auch im Beisein Anderer verbal gedemütigt. Die zudem antisemitische, rassistische, sexistische, schwulenfeindliche Großmutter spricht allenfalls gebrochen Deutsch, während Maxim sich schnell mit und in der neuen Sprache arrangiert; ständig muss er für seine Oma dolmetschen, die ihm daraufhin stets eröffnet, er könne ja gar nicht wissen, was da gesagt wurde, weil er habe doch keine Ahnung von der Sprache, er sei dumm, er sei schwächlich…, während sie zugleich anhaltend darüber lamentiert, wie sehr sie sich doch für ihren Enkel aufopfere, dass dieser ohne sie völlig verloren sei. Abgesehen davon, dass sie ihm immerfort beteuert, er würde ohnehin nicht besonders alt werden (können). Maxim lässt alles stoisch über sich ergehen; auf seine mangelnde Gegenwehr angesprochen antwortet er später, dass diese dann doch nur endlos wäre und er den „Aufwand“ darum von vornherein scheut.
Damit sind sowohl Maxim als auch seine Großmutter ebensolche tragischen Gestalten wie der Großvater, der von der Großmutter stets als untauglicher Nichtsnutz deklassiert wird; „Der Zopf meiner Großmutter“ zeichnet kein einfaches Bild einer übergesiedelten Familie, sondern das einer dysfunktionalen Familiengemeinschaft, was auf mich als Leserin eine ganz seltsame, düstere Faszination ausübte.

Durch den Tunnelblick des Ich-Erzählers, der auch eher objektiv berichtet als dass er tatsächlich seine Gefühle direkt beschreibt, bleibt letztlich auch Einiges offen; die familiäre Symbiose mit Nina, die sich letztlich ergibt, habe ich beispielsweise nicht so recht nachvollziehen können, weil es für mich unverständlich blieb, dass Nina (nicht nur) sich so unter die Fittiche der Großmutter Maxims nehmen ließ. Da hätte ich es durchaus auch interessant gefunden, wenn noch einige der Ereignisse aus der Sicht des Großvaters oder eben auch Ninas erzählt worden wären.

Ich habe dieses Buch wirklich gerne gelesen - wobei ich nicht ausschließen wollen würde, dass da auch ein wenig Sensationsgier mitgespielt haben mag; denn so wie mit ihm umgesprungen wurde, hatte ich auch bereits damit gerechnet, dass Maxim noch zum Amokläufer werden konnte. Für mich klang die Geschichte derart unheilvoll, dass mich tatsächlich hauptsächlich interessierte, ob Max noch aus diesem ungesunden Familienkonstrukt ausbrechen können würde.