Eine berührende Tragikomödie

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Der sechsjährige Max kommt mit seinen Großeltern Margarita Iwanowna und Tschingis als Flüchtling nach Deutschland. Dabei machen ihm weniger die neue Situation und Sprache zu schaffen als vielmehr seine Großmutter, die sich in Deutschland selbst Margo nennt, eine ehemalige Balletttänzerin, die rigoros über ihr kleines Reich herrscht und vor nichts und niemandem zurückschreckt. Ihren eigenen Enkel hält sie für schwachsinnig und todkrank. Ärzte und Lehrer werden über den geistigen und körperlichen Zustand ihres Enkels aufgeklärt, Fahrgäste, die auf dem ihrer Meinung sichersten Platz sitzen, werden von ihr verscheucht („Mach schnell Platz für den kleinen Krüppel. Leute gibt‘s.“), Hotelgäste verfolgt, weil sie sich zu viele Melonenscheiben genommen haben, unbequeme Fragen verspottet („Muss ich mich an alles erinnern? Was soll die Heimatkunde?“) und die Nachbarin mit Nettigkeiten überschüttet („Euch jungen Frauen ist nichts mehr heilig. Aber so jung sind Sie auch nicht, Nina!“). Konsequenterweise wird das von ihr oft herangeführte „bei mir zählt jedes Jahr für zwei“ zu „in Ihrer Gesellschaft zählt jedes Lebensjahr für zwei“. Jedes Jahr, das Mäxchen trotz der vielen ihm angedichteten Krankheiten „schafft“, wird gebührend mit einer Geburtstagstorte geehrt, die das Geburtstagskind jedoch nicht anrühren darf, weil das seinen sofortigen Tod zur Folge hätte. Statt dessen darf sich Mäxchen seine wunderschöne Beerdigung ausmalen, falls er demnächst nicht mehr so großes Glück haben sollte. Margo mit ihren Ansichten und Kommentaren ist einfach herrlich, wobei die Verbindung der Großmutter mit ihrem Enkel, der bei allem eine stoische Ruhe bewahrt – die wohl jedem Leser Bewunderung abverlangt – das Ganze noch amüsanter macht! Sehr schnell wird jedoch deutlich, dass unter der harten Schale ein weicher Kern steckt und dass die Großmutter zu einer Aufopferung bis zur Selbstaufgabe fähig ist.

Alina Bronsky bietet dem Leser mit ihrem Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ eine Tragikomödie mit Charakterkomik vom Feinsten. Während der Leser aufgrund der großmütterlichen Aussprüche ununterbrochen Lachtränen vergießt, gibt es doch auch viele Stellen, an denen man als Leser mit Margo oder Tschingis innehält oder sich wie Mäxchen gerührt vom Geschehen abwendet. Trotz ihrer sehr scharfen Zunge, lässt die Großmutter an den ausschlaggebenden Stellen äußersten Edel- und Großmut walten. Getragen wird der ganze Roman von dem Zusammenspiel der Großmutter mit dem Enkel. Wer den bitterbösen Humor der Autorin nicht teilt und den arglos-scharfsinnigen Schreibstil – da ja schließlich aus der Perspektive eines Kindes berichtet wird – nicht genießen kann, der wird leider keinen Zugang zu diesem großartigen Roman finden. Gleichzeitig lese ich den Roman auch als ein Statement, als die Geschichte einer Frau, die von dem kommunistischen Terrorsystem der Sowjetunion nicht gebrochen wurde, die sich ihr Menschsein bewahrt hat und siegreich aus der Lebensprüfung hervorgegangen ist. Und genau das scheint Mäxchen, der mit einer Weisheit jenseits seines zarten Alters gesegnet ist, zu verstehen. Deshalb lässt er Margo vieles durchgehen und verzeiht ihr ihre oftmals harten Worte. Wer diesen Zusammenhang nicht versteht, der wird wohl auch das ganze Buch nicht verstehen können. „Sie kannte mich besser als jeder andere Mensch, und sie wusste etwas über diese Welt, wovon niemand sonst eine Ahnung hatte.“