Mäxchen und seine Oma

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tochteralice Avatar

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Das sind nur zwei Akteure innerhalb dieses sonderbaren, dabei ausgesprochen intensiven Familiengefüges - aber die beiden wichtigsten. Denn Max, zunächst Kind, dann Teenager, erzählt diese absolut wahnwitzige Geschichte aus seiner Perspektive und seine Grossmutter ist diejenige, um die sich alles dreht und wendet. Und auch die, die alles bewegt. Da sorgt sie schon selbst für.

Wenn sie tatsächlich exisiteren würde und ich mich in ihrem Dunstkreis befände, würde ich sie möglicherweise manchmal hassen, aber ich lese wahnsinnig gern über sie: Max' Großmutter sprengt alle Dimensionen des Vorstellbaren. Und zwar in jeder Hinsicht! Denn so taktlos und übergriffig ihr Verhalten auch fast immer ist, sie verfügt ohne Zweifel über ein riesengroßes Herz. Auch wenn man das nicht immer merkt, nicht zuletzt, weil sie es nicht für jeden öffnet. Denn wo käme man dann wohl hin!

Doch in dem Moment, als ihre Familie zusammenzubrechen droht, vor allem, weil ihr Mann sich einer anderen zuwendet, geht sie ganz besondere Wege, um das Gefüge zusammenzuhalten und neu zu justieren. Gerade sie, die in anderen Situationen nicht alle in ihrer Familie halten konnte. Oder wollte.

Einmal mehr hat Alina Bronsky - nach dem wunderbaren "Baba Dunjas letzte Liebe" - einen kleinen Roman mit großem Inhalt geschaffen: wieder schreibt sie spritzig, tragikomisch, rührend, absurd, bewegend, liebevoll und stellenweise auch erschrecken und abstoßend - vor allem aber unglaublich originell. Und wenn es ein Museum für Romanhelden gäbe - jede einzelne ihrer Figuren wäre es wert, darin ausgestellt zu werden. Sie ist die einzige mir bekannte Autorin, die es vermag, mit wenigen Worten einen blumigen, ja wilden Stil zu kreieren und das ist eine Kunst, die man nicht lernen kann - sie ist tief in einem drin verwurzelt - so wie Max und seine Familie es in ihrer neuen Heimat Deutschland nie sein werden. Oder doch?

Man muss ein bisschen nachdenken, um im Handlungsverlauf die Fäden zusammenziehen zu können, denn man ist als Leser immer an Max' Seite, der längst nicht alles sofort begreift und dem noch viel weniger erzählt wird - und der auf der anderen Seite schon früh eine erschreckend wache Auffassungsgabe vorweisen kann, aber ohne wäre er in dieser Familie nicht weit gekommen!

Wenn in "Baba Dunja" Verwurzelung das zentrale Thema war, dann ist es hier Entwurzelung, Neubeginn, Selbstfindung - wählen sie eines davon oder auch alle zusammen. Ja, auch bei Alina Bronsky ist es nicht immer so eindeutig wie bei Baba Dunja, hier muss sich nicht nur Max nach der Auswanderung aus Russland neu orientieren, nein, auch der Leser muss für sich selbst zunächst einmal jeden Akteur und jedes Ereignis richtig platzieren und einordnen: Dann wird auf einmal alles sonnenklar und die Tragik wie auch der Humor können in ihrer Gesamtheit erst voll erfasst werden. Und man bekommt eine Ahnung davon, was der Begriff "russische Seele" so alles beinhalten kann.

Mal wieder ein ganz besonderer Roman von Alina Bronsky - wenn es ein Lied wäre, würde ich sagen, es hätte Folk-Elemente - oder kann man diesen Begriff auch auf Literatur verwenden? Auf Alina Bronsky passt er auf jeden Fall genau!

Wenn also - bspw. für eine Bahnfahrt - eine nicht allzu ausführliche, dabei aber genussintensive Lektüre gewünscht wird, dann ist dieses Büchlein aus meiner Sicht genau das Richtige - wie auch in Phasen leichter Trübsinnigkeit, in die kein platter Humor passen würde. Da ist die diesen Roman durchdringende Tragikomik genau das Richtige! Ein Roman, den ich nicht so schnell vergessen werde und der mich besonders berührt hat!