Tragikomödie

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Der Zopf spielt in diesem Buch nur eine Nebenrolle, obwohl er optisch ins Auge fallen muss, sehr lang und leuchtend rot und das bei einer älteren Frau. Er macht die Großmutter zu etwas Besonderem. Aber das ist sie auch so. Zunächst nur im negativen Sinne. So eine Großmutter wünscht sich keiner. Sie redet dem eigenen Enkel ein, in jeder Hinsicht minderbemittelt zu sein und entmündigt ihn beständig. Er darf keinen Schritt allein tun. Zusammen mit ihm und ihrem Mann ist sie aus Russland nach Deutschland gekommen. Zufrieden ist sie nicht. Sie mag hier nichts und niemanden, scheut den Kontakt und pflegt alle gängigen Vorurteile gegen ihre Nachbarn in dem Flüchtlingswohnheim, aber auch gegen die Deutschen in ihrer neuen Heimat. Sie nörgelt, ist aufbrausend, unfreundlich, paranoid, alles, was man selbst nicht sein möchte. Sie ist zunächst vor allem eine Person, die man von Herzen schrecklich finden kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Enkels Max, zunächst noch ein Kind, später ein Jugendlicher. Er berichtet trotz der Tristesse, die vor allem die Großmutter um ihn herum verbreitet mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit und einem gekonnt dosierten Sarkasmus. Trotz der ständigen negativen Beeinflussung durch die Großmutter entwickelt er sich gut. Nicht nur was die deutschen Sprachkenntnisse angeht, ist er ihr deutlich überlegen und nutzt seine Möglichkeiten, ohne überheblich zu sein. Er weiß sich mit ihr zu arrangieren.

Im Laufe des Buches erfährt man mehr über die Ursachen für die Übellaunigkeit der Großmutter. Vor ihrer Heirat war sie Balletttänzerin, eine sehr gute und gefeierte sogar, nach der Hochzeit hat sie auf ihre Karriere verzichtet. Sie war nur noch Ehe- und Hausfrau, später auch Mutter und Großmutter und ist zudem noch äußerlich früh gealtert. Ihr fehlt es in jeder Hinsicht an Anerkennung. Aber auch als es ihr gelingt, beruflich wieder etwas auf die Beine zu stellen, ändert sich ihre Grundhaltung nicht. Sie bleibt miesepetrig und verbittert. Ihre Grundüberzeugung, stets zu kurz zu kommen, verdrängt jede andere Emotion.

Manches in dem Buch von Alina Bronsky bleibt nebulös. So zum Beispiel, weshalb sich die Großmutter auch als sie finanziell auf eigenen Beinen stehen kann, sich vom Großvater, der ihr emotional einiges zumutet, nicht trennt. Sie duldet es, ohne es dulden zu müssen und zieht keinerlei Konsequenzen.

Das Buch ist relativ schnell gelesen, es hat nur 214 Seiten, aber dennoch sehr bemerkenswert. Es bleibt im Gedächtnis. Wer logische Geschichten braucht, wird von dem Buch wahrscheinlich nicht begeistert sein. Wer aber wie im wirklichen Leben nicht für alles eine logische Erklärung und Haltung erwartet und auch bittere Stunden mit einer Priese Sarkasmus gut meistern kann, findet hier gute Unterhaltung.