Verdammt harte Schale, aber ganz weicher Kern

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
elke seifried Avatar

Von

Ich habe bisher noch kein Buch von Alina Bronsky gelesen, aber sie hat mich mit ihrer unheimlich originellen Geschichte so gut unterhalten, dass ich mir sicher keinen Roman mehr aus ihrer Feder entgehen lassen werde.

Max ist sechs als er mit seiner Großmutter und seinem Großvater als Kontingentflüchtling von Russland nach Deutschland kommt und dort in einem Wohnheim landet. Misstrauisch und argwöhnisch gegenüber allem und jedem versucht die Großmutter dort einen Platz für die Familie zu finden und dabei vor allem Max vor allen Gefahren zu bewahren. Vor lauter Überbehüten scheint sie gar nicht zu merken, dass der Großvater sich verliebt, Max entgeht dies jedoch nicht. Schon bald werden die beiden zu Komplizen. Während Max die kleinen heimlichen Freuden, wie z.B. ein Eis wegen dem man nicht auf der Stelle stirbt, für sich entdeckt, bleibt die Liebschaft nicht ohne Folgen für alle. Max beschützen steht plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt von Großmutters Kreisen, jetzt muss sie die zu bröckeln drohende Familie retten und auch der Großvater scheint plötzlich nicht mehr nur Marionette in den Händen seiner Frau zu sein.

Die Autorin lässt die Geschichte in einem rasant, pointiert und besonderen Stil, der mir ausgesprochen gut gefallen hat, von Enkel Max aus der Ich-Perspektive erzählen. Man darf durch seine Augen, anfänglich, die eines Sechsjährigen bis hin zu denen eines Teenagers, schauen und auch mit dessen Verstand wahrnehmen. Von Anfang an hat er einen scharfen Blick für die Geschehnisse und auch beste Antennen für die spärlichen echten Gefühlsregungen, kann aber klarerweise nicht alles überreißen, was auch den Leser immer wieder im Ungewissen lässt. Erst nach und nach werden die Verhältnisse unter den Akteuren, die Geschehnisse, die hinter deren Handeln und Tun stecken, klar und das macht die ganze Geschichte spannend. Alina Bronsky hat mich mit ihrer Großmutter und deren Agieren auch gefühlsmäßig völlig gefangen genommen, sodass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Ich konnte schmunzeln, war stellenweise entsetzt, manchmal absolut geschockt, aber auch ganz oft furchtbar gerührt. Die Geschichte sprudelt an bitterböser Situationskomik, die ganz meine Vorlieben trifft, als Leser muss man die Großmutter ja nicht um sich herum ertragen. So kann die schon mal einem anderen Gast ganz deutlich sagen, dass fünf Scheiben Wassermelone und damit das Büffet abräumen gar nicht gehen, nur dass es danach heißt, „Nicht anfassen, er hat schon drauf geatmet.“ – „Warum hast du ihm sie dann weggenommen?“ –„Wegen der Gerechtigkeit, Mäxchen.“, der Enkel seine Geburtstagstorte nur anschauen darf, weil er die Sahne angeblich nicht verdauen könne, darum im Hotel ebenfalls im Zahnputzbecher Brei gekocht bekommt, statt sich am tollen Büffet bedienen zu dürfen oder dass Comichefte, die der Großvater mitbringt, in den Müll wandern, „weil es Schund war, von dem sich mein Gehirn auflösen würde.“ Trotz all der Tragik, die hinter der Geschichte steckt, konnte ich deshalb unheimlich viel schmunzeln, und das ist nie verkehrt.

Die Charaktere sind allesamt großartig gezeichnet und wirklich Originale. Die Großmutter, von der ich anfangs annahm, dass sie eine furchtbar verbiesterte alte Frau sei, die jeglichen Spaß vergrämen muss, zeigt nach und nach, welch großes Herz in ihrer extrem harten Schale steckt. Sie hat jede Menge bitterböse und verletzende Sprüche auf Lager hat, aber in ihrem Verhalten ist auch ganz viel Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen zu finden. Auch ihr extremer Drang Mäxchen überzubehüten wird am Ende der Geschichte verständlich. „Ich war, so trichterte sie mir ein, nicht nur körperlich schwach und geistig minderbemittelt, sondern auch mit einem Äußeren verflucht, das geradezu zu Handgreiflichkeiten aufforderte.“ Max, dem dies zwar auf verletzende Art und Weise eingeredet wird, es jedoch unter gar keinen Umständen ist, war mir sofort sympathisch. Seine kindliche, teils naive Art hat mich sehr gerührt. Oft hat er mir auch sehr leid getan, wenn die Großmutter nicht aus ihrer Haut konnte und wieder besonders biestig zu ihm war. Toll fand ich, dass er nie auch nur ein abschätziges Wort über die Familienmitglieder über die Lippen gebracht hat, egal wie die sich verhalten haben. Am undurchsichtigsten für mich, war sicher der Großvater, der meist nur nickt oder den Kopf schüttelt und anfänglich wie eine Marionette Großmutters Befehle ausführt. Aber auch ihn lernt man nach und nach besser kennen und merkt dann vor allem, dass man ihn viel zu leicht unterschätzt. Eine große Rolle spielt auch Nina, ebenfalls ein ganz individueller, nicht einfacher Charakter, in den sich der Großvater verguckt und damit das Familiengefüge ins Wanken bringt.


Alles in allem hat mich die Autorin mit ihrer tragisch, komischen Geschichte wirklich ausgesprochen gut unterhalten und ich vergebe gerne begeisterte fünf Sterne und eine absolute Leseempfehlung für alle, die auch mal einen außergewöhnlichen Roman zur Hand nehmen.