Eine schöne Idee mit ungeschönten Einblicken in andere Welten

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Ich stehe dem Buch etwas zwiegespalten gegenüber. Die Geschichte teilt sich - gleich einem geflochtenen Zopf - in drei Handlungsstränge auf. Jeder Strang gibt einen Einblick in das Leben einer Frau, das gerade dabei ist, sich drastisch zu verändern. In "Der Zopf" lesen wir, wie es den Frauen mit diesen Veränderungen ergeht, was dazu geführt hat und wie sie sich ihren Weg durch komplexe Probleme bahnen.
Was mir an dem Buch sehr gut gefiel, war der Einblick in drei völlig unterschiedliche Welten. Ungeschönt wird der Leser mit diesen Welten konfrontiert und so wird auch ein gewisses Verständnis und eine emotionale Verbindung gegenüber den drei Protagonisten gesponnen. Vor allem begeistert hat mich die Geschichte von Smita. Ungefiltere Wahrheiten über das Leben in einem Dorf in Indien und das Schicksal derer, die von Geburt an als Abschaum der Gesellschaft angesehen werden. Die Spannung im Buch war für mich vor allem durch ihre Geschichte gegeben und ihr Vorhaben, dieser Welt, der gesellschaftlichen Abgrenzung und Ausbeutung, zu entfliehen. Ein starker Gegensatz dazu ist wiederum die Geschichte von Sarah, einer sehr erfolgreichen Anwältin, die in einer männerdominierten Welt sämtliche Steine aus den Weg geräumt hat und sich bis an die Spitze gearbeitet hat - ohne je Schwäche zu zeigen, denn anders wäre ihr Erfolg nicht möglich gewesen. Eine Welt, die weit weg von Smitas ist, und doch auch keine Barmherzigkeit kennt. Mit Sarah fiel es mir besonders leicht, mich zu identifizieren. Als Frau in einem ebenso männerdominierten Beruf kann ich ihr Verhalten, ihre Einstellung mehr als nachvollziehen - ich mache es nicht anders. Umso stärker hat es mich mitgerissen, als sich ihr Leben auf Grund dieser unbarmherzigen, diskriminierenden Gesellschaft schlagartig änderte und zunächst Resignation die einzig vorhandene Möglichkeit zu sein schien. Guilias Welt - eine Frau, die im italienischen Familienbetrieb arbeitet und das Schicksal der Firma in die Hand nimmt - stand ich etwas zwiegespalten gegenüber. Ich konnte Guilias Gedanken und Entscheidungen auf Grund der Art, wie sie aufwuchs, gewissermaßen, aber doch nur mit saurem Nachgeschmack nachvollziehen. Vor allem die Beziehung zu einem Mann, die sie offenbar vor allem wegen seiner anderen Herkunft so reizte. Es kam einer Exotisierung gleich. Auch die starke Abhängigkeit zum Vater Guilias war für mich schwer zu nachvollziehen.

Abgesehen von den Charakteren und deren Geschichten fand ich es sehr schön, wie "Der Zopf" aus diesen drei Strängen geflochten wurde. Es dauerte tatsächlich etwas, bis ich darauf kam, wie diese Geschichten zusammengehören. Die Idee ist wirklich großartig und zeigt wiederum, welch verrückte, zufälle Überschneidungen in unserem Leben möglich sind. Ich fand die Geschichten an der ein oder anderen Stelle etwas zu kurz geraten, es hätte gerne etwas mehr in die Tiefe gehen können. Sprachlich sorgte die knappe Sprache der Autorin dafür, dass sich das Buch sehr schnell und leicht liest. Das Schnörkellose ihrer Beschreibungen fand ich sehr posititiv, erfrischend und zum Tenor des Buches passend. Doch erschien es mir phasenweise, als würde ich einen Schulaufsatz lesen - nicht sehr ausgefeilt, zu knapp angebunden, aus der Luft gegriffen. Nur an sehr wenigen Stellen, aber doch vorhanden.
Abschließend lässt sich für mich sagen: Eine großartige Idee mit ungeschönten, wertvollen Einblicken, zum größten Teil schön und spannend ausgearbeitet. Ich würde dem Buch 3,5 Sterne geben.