Schicksale dreier starker Frauen zu einem kunstvollen literarischen "Zopf" geflochten

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Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)
Drei Frauen, drei Leben, drei Kontinente – dieselbe Sehnsucht nach Freiheit
Die Lebenswege von Smita, Giulia und Sarah könnten unterschiedlicher nicht sein. In Indien setzt Smita alles daran, damit ihre Tochter lesen und schreiben lernt. In Sizilien entdeckt Giulia nach dem Unfall ihres Vaters, dass das Familienunternehmen, die letzte Perückenfabrik Palermos, ruiniert ist. Und in Montreal soll die erfolgreiche Anwältin Sarah Partnerin der Kanzlei werden, da erfährt sie von ihrer schweren Erkrankung.
Ergreifend und kunstvoll flicht Laetitia Colombani aus den drei außergewöhnlichen Geschichten einen prachtvollen Zopf.
Autorin (Quelle: Verlagsseite)
Laetitia Colombani wurde 1976 in Bordeaux geboren, sie ist Filmschauspielerin und Regisseurin. »Der Zopf« ist ihr erster Roman und sorgte gleich nach Erscheinen für internationales Aufsehen. Der Roman steht seit Erscheinen weit oben auf der amazon-Bestsellerliste und erscheint in 27 Ländern. Die Filmrechte sind bereits vergeben. Laetitia Colombani lebt in Paris.
Allgemeines
Titel der Originalausgabe: „La Tresse“, ins Deutsche übersetzt von Claudia Marquardt
Erscheinungstermin: 21.03.2018 im Fischer Verlag als HC mit 288 Seiten
Prolog – Kapitel ohne Nummerierung, jeweils mit dem Namen der jeweiligen Hauptfigur und deren Aufenthaltsort überschrieben – Epilog – Danksagung
Erzählung in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven
Handlungsorte und -zeit: Unterschiedliche Orte in Indien, Palermo (Sizilien), Montreal (Kanada), in der Gegenwart
Zum Inhalt
Der Roman schildert das Leben dreier Frauen völlig unterschiedlicher sozialer und geographischer Herkunft, die jedoch eine Gemeinsamkeit verbindet: Alle drei sind starke Persönlichkeiten, die sich nie unterkriegen lassen.
Smita führt als Dalit (Unberührbare) in Indien ein menschenunwürdiges Leben. Am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie stehend, verbringt sie - wie schon ihre weiblichen Vorfahren – die Tage damit, im heimatlichen Uttar Pradesh die Exkremente der Angehörigen höherer Kasten mit bloßen Händen zu entsorgen, Toiletten gibt es im Dorf nicht. Smita will sich nicht mit diesem Schicksal abfinden, für ihre Tochter Lalita erhofft sie sich ein besseres Leben, inklusive Schulbildung. Doch dazu muss sie fern ihres Heimatdorfs ein besseres Leben suchen.
Giulia ist die Tochter des Inhabers der schon lange im Familienbesitzes befindlichen Perückenfabrik Lanfredi. Als ihr Vater nach einem Unfall im Koma liegt, stellt sie zu ihrem Entsetzen fest, dass der Betrieb kurz vor dem Konkurs steht. Nur eine neue Geschäftsidee, der ihre Familie aus Gründen der Tradition ablehnend gegenübersteht, bietet die Chance, die Perückenfabrik noch zu retten.
Sarah lebt als alleinerziehende Mutter und äußerst erfolgreiche Anwältin in Montreal. Als sie auf dem besten Weg ist, zur Nachfolgerin der Geschäftsleitung in der Kanzlei aufzusteigen, erkrankt sie an Brustkrebs. Obwohl sie sich dennoch verzweifelt bemüht, im Beruf weiterhin ihre volle Leistungsfähigkeit zu zeigen, muss sie die bittere Erfahrung machen, dass sie vom Chef und konkurrierenden Kollegen aufs Abstellgleis geschoben werden soll.
Beurteilung
Der Roman wird in drei alternierenden Handlungssträngen um drei starke Frauen, die einander nie persönlich begegnen, in schnörkelloser Sprache erzählt. Diese drei Handlungsstränge werden durch das Haar, das die Inderin Smita im Tempel von Tirupati dem Gott Vishnu opfert, das Giulia in Palermo zu einer meisterhaften Echthaarperücke verarbeitet und das Sarah nach ihrer Chemotherapie als Perücke einen Teil ihrer Würde zurückgibt, zu einem literarischen Zopf geflochten. In kursiv gedruckten Kurzabschnitten sind die Arbeitseindrücke einer anonymen Perückenmacherin in die fortlaufende Handlung buchstäblich eingeflochten.
Die Charaktere der drei Protagonistinnen werden sehr gut ausgearbeitet, die drei Frauen aus komplett unterschiedlichen gesellschaftlichen Umfeldern ähneln einander in der Unbeugsamkeit ihres Willens.
Anhand ihrer Lebensgeschichten erfährt der Leser allerhand über das erbarmungswürdige Leben der Frauen in den ländlichen Gebieten Indiens, über die Kunst der Perückenherstellung in Palermo mit den Arbeitsschritten von der Reinigung über die Depigmentierung bis zur Neu-Einfärbung der Echthaare und über den Einschnitt im Leben einer gut situierten, erfolgreichen Frau durch eine unvorhergesehene schwere Erkrankung. Es ist sehr berührend, diese Schicksale zu verfolgen und der Leser kann nicht umhin, sich mit den drei Frauen zu identifizieren und ihnen gegenüber Respekt zu entwickeln.
In den Text sind einige indische und italienische Begriffe eingestreut, die vermutlich nicht allen Lesern bekannt sein dürften. Hier wäre ein Glossar im Anhang eine Bereicherung gewesen.
Fazit
Eine ebenso berührende wie faszinierende, kunstvoll zu einem „Zopf“ geflochtene Erzählung über die Schicksale von drei starken Frauen unterschiedlicher Herkunft, äußerst lesenswert!
4,5 Sterne