Idylle im Nicht-Wissen

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evaczyk Avatar

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Ausgerechnet beim ersten Besuch ihres Freundes bei der Familie wird Dolmetscherin Eva zu einem außerplanmäßigen Arbeitstermin gerufen - und der könnte gar nicht mehr daneben gehen. Im Büro der Frankfurter Staatsanwaltschaft übersetzt die sonst mit Wirtschaftangelegenheiten befasste junge Frau die Aussage eines älteren Mannes aus Polen und bringt das Vokabular völlig durcheinanander. Er berichtet nicht über Gäste, die völlig erleuchtet in einem Saal gefunden werden, sondern über vergaste russische Gefangene in Auschwitz, einem Ort, von dem Eva noch nie gehört hat.

Der Übersetzungsfehler steht auch für das Unwissen in den frühen 60-er Jahren. Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, aber keine Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Familienidylle mit klarer Rollenverteilung, die Sorge Evas, einen Ehemann abzukriegen, ehe sie ein "spätes Mädchen" wird - all das klingt aus heutiger Perspektive doch sehr fremd.

Eher betulich und schablonenhaft wirken vorläufig auch die anderen Personen der Handlung. Der einzige, der im Büro der Staatsanwaltschaft überhaupt einen Namen hat, ist der amerikanische Anwalt, der Eva mit so viel Verachtung begegnet, dass man schon ahnt: die beiden werden sich wohl später näher kommen. Der Auschwitz-Prozess und die deutsche Gesellschaft nach den Wirtschaftswunderjahren - eigentlich ein spannendes Thema, momentan finde ich das Buch aber noch eher mittelmäßig,