Grandioses Finale

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elke seifried Avatar

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Ich habe schon die ersten beiden Teile dieser grandiosen Trilogie begeistert verschlungen und mit „Die Wege der Liebe“ ist Helene Sommerfeld ein grandioser dritter Teil ihrer „Die Ärztin“ gelungen. Ich bin wieder einmal begeistert.

So hat sich Ärztin Ricarda Thomasius ihr Heimkommen aus China zu Weihnachten 1915 sicher nicht vorgestellt, denn noch nicht einmal zuhause angekommen, wird sie schon vom ersten Schicksalsschlag empfangen. Tochter Hennie und deren große Liebe Victor haben vom seit Jahren streng gehüteten Geheimnis um Hennies Vater erfahren und sind außer sich. Trotz überraschender Neuigkeiten, ein Anlass für einen Streit, der sich sicherlich nicht mehr so leicht aus der Welt schaffen lässt, schon gar nicht, nachdem es die beiden Verliebten nach Amerika zieht. Würde das nicht schon genug Sorgen bereiten, bleibt schon bald die Feldpost von Sohn Georg aus, wenig später gilt er als vermisst. Nur Toni, die jüngste, scheint bei ihrem neuen Nebenjob im Zoo völlig aufzugehen, träumt davon Tierärztin zu werden. Schön langsam wird das Mädchen zur selbstbewussten Frau, die ihrer Mutter leider Kummer auch nicht ersparen kann. Beruflich muss Ricarda ihre eigene Praxis schließen, bekommt allerdings, weil Männer, an der Front und in Berlin daher Mangelware sind, die Leitung der Geburtenabteilung an der Charité angeboten, eine Chance, die sie natürlich ergreift.

Helene Sommerfeld hat erneut wieder die perfekte Mischung aus Geschichte erleben, schweren Schicksalsschlägen sowie dramatischen Szenen, der einen oder andere Romanze und vor allem ganz vielen Überraschungen und Wendungen geschaffen, die einen von der ersten Seite ans Buch fesselt und erst ganz am Ende wieder aus seinen Fängen entlässt. Ihr gelingt es grandios den Spannungsbogen durchgehend hoch zu halten, man kann das Buch nicht aus der Hand legen. Der lebendige, anschauliche Sprachstil macht das Lesen zum großen Vergnügen, was die Seiten zudem geradezu fliegen lässt. Auch emotional hatte mich die Autorin wieder schnell vollkommen am Wickel, ich habe regelrecht mitgefiebert und mitgelitten. Durfte mich aber auch ganz viel freuen und immer wieder sogar herzhaft schmunzeln. Hier ist für jede Gefühlslage etwas dabei.

Helene Sommerfeld bietet wieder einmal eine grandiose Zeitreise, man kann sich richtig mitnehmen lassen in Zeit und Ort. Prägen zu Beginn noch der Hunger, „Neunundfuffzig Stunden die Woche arbeite ick. Die Stunde für sechsundvierzig Pfennich. Macht sienundzwanzich Mark. Sach mich mal eener, wie ick zwei Blagen satt krich, wenn das Brot immer teurer wird. Hungern ist gesund! Weeßte doch!“ und Invaliden und Verletzte das Berliner Stadtbild, füllen Armamputierungen bei Arbeiterinnen von Munitionsfabriken den Arbeitsalltag der Ärzte, „Wer sich beklagte, dass die Maschinenkeine Sicherheitsvorkehrungen hatten, die die furchtbaren Unfälle verhindert hätten, bekam zu hören: Musste eben uffpassen!“ darf man zum Glück wenig später schon das Kriegsende und die Abdankung des Kaisers feiern. Die Kriegsauswirkungen, das Hoffen, das Bangen, der Kummer, die Sorgen und dann auch die Enttäuschungen und Hoffnungen der damaligen Bevölkerung werden regelrecht lebendig. Zudem gibt es eine Hülle an solch kleinen Details, die Alltagsgeschichte für mich so spannend machen, wie z.B. was in einem Zoo gefüttert wurde, die armen Menschen sogar Krähen verspeisen, die Leute vom Film für Propaganda noch bestens gedeckte Tische hatten, oder auch dass „Sich zu Waschen glich einer Tortur: Der Seife hatte einen unangenehmen Geruch machte nicht sauber, und es war alles Mögliche drin. Neulich sogar Holzspäne, die Toni sich unabsichtlich in die Haut gerieben hat.“ Die gründliche, intensive der Recherche der Autorin ist hier deutlich zu spüren.

Die Reihe heißt die Ärztin, klar, dass man auch wieder absolut interessante Einblicke erhält, was sich in der Medizin vor gut hundert Jahren getan hat. Die Behandlung von Brandwunden, die von Kriegszitterern, den Traumatisierten des Kriegs, erste Versuche mit Radium Krebsgeschwüren die Stirn zu bieten, sind nur einige Beispiele dafür.

Auch die Rolle der Frau wird wieder einmal toll beleuchtet. Die Männer verschwinden immer mehr aus dem Stadtbild, weil sie an der Front ihren Dienst tun, so dass die Frauen deren Aufgaben übernehmen müssen. So bekommt nicht nur Ricarda eine Stelle, die ihr ohne Krieg nie angeboten worden wäre, allerdings nicht auf Dauer, denn ein Teil der Männer kommt ja auch wieder zurück, und dann heißt es die Privilegien werden wieder erst diesen zuteil. Fest verankert ist aber das Wahlrecht, und da stehen die Frauen auch Schlange um ihre Stimme abgeben zu können. Wie schon vorab ihre Mutter, will sich eine Antonia auch nicht mit der Rolle als nur Ehefrau abfinden, all das wird erfahrbar.

Ebenso wie die Atmosphäre der Zeit, werden auch alle Charaktere authentisch und gelungen dargestellt. Ricarda habe ich immer schon bewundert für ihre Stärke und auch hier beweist sie wieder einmal welch tolle Frau sie ist. Viel Kummer hat mir Tochter Hennie bereitet, mit der ich in der Zeit in Amerika viel gelitten habe. Mit der aufgeweckten Toni hatte ich sowohl im Zoo mit ihrem Schimpansenbaby, als auch beim Tanzen nach der neumodischen Musik aus Amerika jede Menge Spaß. Richtig gut hat mir auch ihr Johannes gefallen, der mit seinem amputierten Bein aus dem Krieg eine Chance bekommt. Victor, der sich immer mehr entwickelt, wie seine eiskalte Mutter Florentine, mochte ich wie diese immer weniger. Richtig widerwärtig fand ich seinen Bruder Morrie, dafür konnte sich Kumari wieder ganz schnell in meinem Herz breit machen, als die unfreiwillig nach Deutschland zurückkehren muss. So könnte man ewig weiter machen, erwähnen müsste man noch ganz viele, weil wirklich alle so grandios gezeichnet und mit so viel Profil versehen sind.

Da ich ja auch die Hörbücher alle kenne muss ich auch noch eine absolute Empfehlung für die Sprecherin aussprechen. Ich könnte mir keine bessere Umsetzung dieser bewegend, fesselnden Geschichte vorstellen, wie sie Beate Rysopp gelungen ist. Was die Autorin hier sowieso schon an Emotionen und Atmosphäre als Vorlage parat hat, wird von ihr noch durch den tollen Vortrag gekrönt.

Alles in allem völlig begeisterte fünf Sterne und eine absolute Kauf- und Leseempfehlung.