Der Kern des Lebens

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r.e.r. Avatar

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Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche ist auf ihre Art unglücklich." So beginnt "Anna Karenina". Es ist einer der berühmtesten Romananfänge aller Zeiten. Mit diesem Roman lässt Katharine Dion ihren Erstling „die Angehörigen“ enden. Als Hommage an Leo Tolstoi und als Hommage an ein Menschenleben. Oder vielmehr zwei Menschenleben. Das von Gene und seiner Frau Maida, deren Ehe über fünfzig Jahre Bestand hatte.

Genes Frau ist überraschend gestorben. Nun steht die Gedenkfeier bevor und Gene beginnt sich zu fragen, ob sein Leben mit Maida glücklich gewesen ist. Sie haben nie darüber gesprochen: "Dann gab es noch die Fragen, die er Maida nie gestellt hatte. Zum Beispiel, ob sie der Meinung war, unter dem Strich ein glückliches Leben gehabt zu haben. Damit meinte Gene nicht die Äußerlichkeiten, sondern den Kern des Lebens. Er meinte das geheime Leben, das einem selten bewusst war. War Maidas Leben halbwegs glücklich gewesen?"

Katharine Dion schafft es sehr gut, zum Kern des Lebens der Familie Ashe vorzudringen. Ihre Hauptfigur Gene ist ein sympathischer älterer Herr anfangs der siebzig. Seine Selbstzweifel in Bezug auf seine Ehe und sein Leben werden von der Tochter Dary geschürt, die aus (für den Leser nicht ersichtlichen Gründen) eine tiefe Abneigung gegen den Vater zu hegen scheint.

"Genes Interesse an anderen Menschen beschränkte sich vor allem auf die Frage, worin das Geheimnis ihres Glücks bestand". Katherine Duil schafft Tiefe. Ihre Sätze sind eindringlich aber nicht überzogen. Sie schreibt im Stil einer Anne Tyler eine wunderbare Charakterstudie über das Leben, am Beispiel eines alten Mannes, der sein Leben rückblickend betrachtet. Offen, ehrlich, altersmilde und altersweise.

War das Leben glücklich? Was ist Glück eigentlich? Wenn am Ende eines Lebens ein Partner allein zurückbleibt, sind diese Fragen unausweichlich. Es braucht viele Lebensjahre um dem "Kern des Lebens" auch nur ansatzweise nahezukommen. Haben die Äußerlichkeiten das Leben bestimmt oder der Kern des glücklichen Zusammenlebens? Gene findet am Ende seine Antwort und es war mir eine Freude ihn beim Lesen dabei zu begleiten.