Genes schwirrende Gedanken

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amara5 Avatar

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Der Debüt-Roman "Die Angehörigen"der Autorin Katharine Dion erscheint im Dumont Verlag und ist rund 290 Seiten lang.

Nach fast 50 Ehejahren verstirbt Genes Ehefrau Maida plötzlich und der Witwer verfällt in einen Trauersog, in ängstlicher Hilflosigkeit und Grübeleien. Seine zahlreichen schwirrenden Gedanken kreisen stets um die Vergangenheit. Waren sie glücklich? Was ist die Quelle des Glücks? Kennen wir unsere Liebsten wirklich?

Glück ist ein Rätsel, über das Gene nachdenkt. An welcher Wahrheit kann er sich festhalten? In Gesprächen mit dem lang befreundeten Ehepaar Gayle und Ed sowie mit seiner für ihn unnahbaren Tochter Dary sucht er nach Antworten auf seine vielen Fragen und lässt auch seine eigene Vergangenheit Revue passieren. Hat er vieles nur getan, um geliebt zu werden? Warum hat er diesen und keinen anderen Weg eingeschlagen? Waren die Entscheidungen richtig? Warum steht ihm seine eigene Tochter feindselig gegenüber?

Im Laufe der Monate versucht der tief verunsicherte Gene seine Erinnerungen zu sortieren (Je mehr er zu verstehen versucht, desto unsicherer wird er.) und steigert sich teilweise in eifersüchtige Gedanken, dass seine Frau Geheimnisse vor ihm hatte und andere sie vielleicht besser kannten als er.

Eingebettet in die wunderschöne Landschaft von New Hampshire und Fisher Lake beobachtet Gene gerne fremde Menschen und ihr Geheimnis des Glücks. Er flüchtet sich ins Internet (wo er Anleitungen für eine passende Trauerrede recherchiert), in eine Affäre mit seiner Haushälterin, um seine Einsamkeit zu überdecken und am Ende für eine Weile in die Holzhütte am White Pine Camp, wo die Ehepaare zahlreiche Urlaube mit den Kindern verbracht haben. Bei der Lektüre von Anna Karenina kommt der gebrochene Gene auf eine innere Erkenntnis, die ihn endlich ruhiger stimmt und einen kleinen Lebenssinn erahnen lässt.

Unspektakulär, fast mediativ und treibend in Genes Gedankenwelt und Zeitsprüngen in seine ausführlich geschilderten Erinnerungen beschreibt die Autorin in drei Hauptkapiteln intelligent und erfrischend anders die Wege von Trauer, Einsamkeit und Selbstzweifeln. Wie gehen wir mit Verlusten um, ohne daran zu zerbrechen? Wie halten wir innere Zweifel aus, wenn wir uns nicht bedingungslos geliebt fühlen? Sind Erinnerungen beständig und können wir ihnen trauen?

Katharine Dion ist ein sensibel gezeichnetes Trauerbild und ein intimer Blick in die Verunsicherung nach einem Verlust gelungen. Die Autorin möchte von der Erzählstruktur nicht unbedingt gefallen und beantwortet fast keine von Genes vielen grüblerischen Fragen. Am Ende bleibt viel Offenes beim Leser zurück, über das er nachdenken kann, wenn er möchte.