Berlin ist sicher. Noch.

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möp Avatar

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Paris hat geblutet.
Berlin ist eine sichere Stadt.
Noch.

Cliff, 20 Jahre alt, hat im Dschihad gekämpft. Er war in Syrien, mitten drin. Nun ist er zurück in Deutschland. Doch ist er nun ein anderer? Um diese Frage beantwortet zu bekommen, wird der Leser erst einmal durch Cliffs Kindheit, seine turbulente Jugend und seine Zeit in Syrien geführt. Man blickt tief hinab in die dunkle Seele dieses jungen Mannes, spürt seine Verzweiflung und bekommt tiefe Einblicke in die Umstände, die ihn zu dem gemacht haben, was er nun ist. Wir lernen aber auch Cliffs Freunde kennen, denen er seit jüngster Kindheit sehr nahesteht. Es ergibt sich ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen Margarete, Alain und Cliff und wir begleiten die drei auf ihrem Weg in die Gegenwart, in das vom Terror bedrohte Berlin.

Antonia Michaelis hat hier mal wieder eine jener schwer verdaulichen Geschichten geschaffen, die sich in einer Rezension nur schwerlich beurteilen lassen. Das Buch ist komplex, es ist emotionsgeladen und es ist so erschreckend aktuell. Sie führt dem Leser mit erschütternder Nachdrücklichkeit vor Augen, was er schon längst weiß: Der IS ist längst hier. Die Bedrohung ist real und der Krieg nicht mehr in weiter Ferne.

Es werden viele aktuelle gesellschaftliche Themen aufgegriffen und es wird insbesondere der Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise bzw. dem starken Zustrom an geflüchteten Menschen nach Europa und den Kämpfen der Gotteskrieger thematisiert. Die Welt ist verrückt und Frau Michaelis findet starke Bilder für diese Absurdität: So z.B. wenn geflüchtete Menschen auf einem deutschen Weihnachtsmarkt durch Attentäter bedroht werden.

Sie beleuchtet aber auch die menschlichen Abgründe hinter den Tätern, sie rollt die Geschichte von hinten auf und beginnt mit der Kindheit von Cliff, Alain und Margarete. Sie stellt sehr anschaulich die Entwicklung der unterschiedlichen Charaktere dar und lässt uns verstehen, was in den Köpfen der Attentäter vorgeht. Zum ersten Mal habe ich wirklich verstanden, was in den Köpfen dieser Täter vorgeht. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen gelingt es ihr, die komplexen (Liebes-) Beziehungen zwischen den Protagonisten zu konstruieren.

Am Ende bleibt man nachdenklich, mit gespaltener Meinung zurück und weiß nicht mehr, was eigentlich gut und böse, was richtig und was falsch ist. Es bleiben starke Bilder zurück, eine Atmosphäre, so dicht, als wäre man selbst dabei gewesen. Alles in allem ein empfehlenswertes Buch, das aktueller nicht sein könnte. Mich persönlich hat es zwar etwas gestört, dass der Schwerpunkt so sehr auf die Kunst und die unerfüllte Liebe zwischen Alain und Cliff gelegt wurde, aber dem Gesamten tat dies keinen Abbruch. Dies ist der Stil von Antonia Michaelis und es ist sicher auch Geschmackssache, ob man ein so metaphorisches Buch mag.