Schatten über Berlin

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Antonia Michaelis gehört zu meinen drei deutschen Lieblingsautorinnen. Ich liebe ihre poetische, bildgewaltige Sprache und die oft beinahe märchenhafte Atmosphäre in ihren Bücherm; eine Art magischer Realismus, in dem sich Fantasie und Wirklichkeit vermischen.

Hier hat sie sich eines äußerst aktuellen Themas angenommen, der Bedrohung durch Attentäter des IS. Im Vordergrund steht allerdings die Beziehung zweier junger Männer, die sich seit Kindertagen kennen, Alain und Cliff. Aufgewachsen im selben Mietshaus, stammen sie jedoch aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Alain hat ein liebevolles Elternhaus bei einem Musiker und einer Galeristen. Cliffs Vater ist Alkoholiker, seit ihn Cliffs Mutter Cemre, eine Türkin, der Karriere wegen verlassen hat. Cliff liebt und hasst seine Mutter zugleich, kann nicht aufhören, sich nach ihr zu sehnen, wird jedoch immer wieder zurückgewiesen. Nach einem Abstecher durch die rechte Szene wird er zum gläubigen Moslem, radikalisiert sich später und schließt sich sogar dem IS an. Halt findet er nirgends oder nur für Momente, bei Alain und der gemeinsamen Freundin Margarete. Dass sich Alain und Cliff allerdings auch sexuell von einander angezogen fühlen, kann Cliff nicht akzeptieren. Immer tiefer gerät er in einen Strudel aus Selbsthass, Gewalt und der Sehnsucht nach Erlösung. Als er nach seiner brutalen Ausbildung durch den IS traumatisiert in die Heimatstdt Berlin zurückkehrt, beschleicht Alain und Magarete ein furchtbarer Verdacht: Plant Cliff einen Anschlag, oder will er ihn verhindern?

Die magisch angehauchten Elemente stehen in diesm Buch weniger im Vordergrund als in anderen Romane der Autorin, sie beschränken sich auf das Motiv des geflügelten Engels, den Cliff oft in Alain zu sehen meint und von dem er sich nicht wieder auf die helle Seite ziehen lassen möchte.

Das Buch hat mich stark bewegt. Als gebürtige Berlinerin, die jeden Tag mit der Bahn zur Arbeit nach Berlin fährt, kenne ich die Unsicherheit, die mich und andere seit einiger Zeit dabei befällt. Man staunt, dass es Berlin noch nicht getroffen hat. Der Roman enthält soviel Lokalkolorit, vor allem bei der Suche nach Anschlagzielen, dass er beängstigend real wirkte.

Zum Schluss überschlagen sich die Ereignisse. "...sie gleiten den Uniformierten durch die Hände wie Eidechsen, wie Fische, wie giftiges Quecksilber, fallen zu Boden und vermehren sich zu tausend Tropfen, die in alle Richtungen davonkugeln und sich wiederum weitervermehren." Mir persönlich war das Ende etwas zu hastig erzählt, auch wenn ich Teile schon eine Weile vorausgeahnt habe. Den Weg, den Margarete für sich wählt, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Ingesamt bleibt Magarete als dritte der Ich-Erzähler/innen am blassesten, ein Gefühl, dass Magarete auch selbst zum Ausdruck bringt. Zum Ende hingt bricht die Autorin mit dem althergebrachten Autoren-Grundatz, nie innerhalb eines Kapitels die Perspektve zu wechseln, in besonders schneller Folge. Etwas weniger wäre hier für mich mehr gewesen. Da es sich aber wie gesagt um eine meiner Lieblingsautorinnen handelt, meckere ich hier natürlich auf sehr hohem Niveau. Insgesamt habe ich den Roman genossen.