Nicht nur bewegend auch intellektuell herausfordernd!

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lilsin32 Avatar

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Schon die ersten Seiten von Die Ausweichschule zeigen, dass dieser Roman kein einfacher Bericht über eine reale Tragödie ist, sondern ein vielschichtiges, literarisch anspruchsvolles Nachdenken über Erinnerung, Trauma und die Frage nach erzählerischer Berechtigung. Kaleb Erdmann schreibt mit einer klugen Mischung aus Distanz und Nähe – als jemand, der den Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium als Kind miterlebt hat, aber über zwanzig Jahre später selbst nicht mehr sicher ist, was er tatsächlich erinnert und was durch Erzählungen, Medien oder Projektionen entstanden ist.

Was sofort beeindruckt, ist die klare, ruhige Sprache, die auf Effekthascherei verzichtet. Stattdessen spürt man in jedem Satz die emotionale Schwere des Themas – und gleichzeitig die reflektierte Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als „Überlebender“, als Autor, als Mensch inmitten eines kollektiven Schreckens. Besonders eindrücklich ist, wie der Erzähler nicht nur die Hilflosigkeit der Erwachsenen damals schildert, sondern auch seine eigene Unsicherheit heute: Darf ich das erzählen? Habe ich das Recht?

Die Leseprobe macht deutlich, dass Erdmann mit Die Ausweichschule nicht einfach ein Trauma verarbeiten will, sondern auch unsere gesellschaftliche Faszination für Gewalttaten, unsere mediale Gier nach Aufarbeitung und das literarische Spiel mit Authentizität hinterfragt. Es ist ein zutiefst ehrlicher, stellenweise ironischer, aber nie zynischer Text, der erschüttert, ohne je plump zu emotionalisieren.

Fazit: Diese Leseprobe lässt einen nicht mehr los. Sie verspricht einen Roman, der nicht nur bewegend, sondern auch intellektuell herausfordernd ist – ein schmerzlich notwendiger Beitrag zur Frage, wie wir mit Gewalterfahrungen umgehen, persönlich wie gesellschaftlich.