Berührend, echt, hervorragend geschrieben!

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Erzählt wird von Josef und Maria Moosbrugger: Das Ehepaar lebt mit seinen Kindern am Rande eines Bergdorfs. Sie leben abseits, sind arm, man nennt sie die titelgebende Bagage. Es beginnt der erste Weltkrieg und Josef wird zur Armee einbezogen – so bleiben Maria und die Kinder allein. Der Bürgermeister, der einzige wahre Freund Josefs, wird ihr einziger Schutz. Wäre da nicht Georg aus Hannover, ein wunderschöner Mann, der an die Tür der Bagage klopft. Dazu wird Maria auch noch schwanger, mit Grete: Mit Grete wird Joseph jedoch nie ein Wort wechseln, er wird sie nicht ansehen, nicht berühren – nicht einmal zur Strafe wird er die Hand gegen sie erheben. Grete ist die Mutter der Autorin, die die Geschichte ihrer Herkunft eindrücklich erzählt.

Helfers literarisches Erzählgeschick überzeugte mich schon in der Leseprobe – diese Überzeugung blieb auch die gesamte Erzählung über bestehen. Allerdings hatte ich dann doch meine anfänglichen Schwierigkeiten mit allen Namen der gesamten Familie – Marias Kinder, also Gretes Geschwister, sind in Summe sieben an der Zahl. Dazu kommen schnelle Wechsel zwischen Vergangenheit – insbesondere vor und während, aber auch nach Gretes Geburt - und den Erinnerungen der Autorin an ihre Tanten und Onkel, ihre Mutter, ihre Großmutter… Ich nenne es „jüngere Vergangenheit“. Was ich anfänglich unstrukturiert, gar verwirrend fand, machte spätestens ab S. 55 nach folgenden Zitat Sinn, eingefügt nach einem erneuten Zeitenwechsel: „Eine Ordnung in die Erinnerung zu bringen – wäre das nicht eine Lüge? Eine Lüge insofern, weil ich vorspielen würde, so eine Ordnung existiere.“ Absolut richtig, wie ich finde.
Im Anschluss daran nahm ich diese Zeitsprünge nicht mehr als unstrukturiert, sondern vielmehr als authentisch, ja sogar sehr nahbar wahr. Nach und nach folgt man in der Vergangenheit der Geschichte um Josefs Abwesenheit während des Kriegs, wie Maria mit den bis dato fünf Kindern lebte, wie ihr Bauch mit Grete wuchs und der Ablehnung, die sie diesbezüglich erfahren musste. Die Erinnerungen, die die Autorin an ihre später ja erwachsenen Tanten, Onkel, ihre Mutter einstreut, folgen keinem Zeitstrahl.

In Summe hat mich die Bagage angenehm gefesselt – selbstverständlich handelt es sich bei dieser Erzählung um keine klassische Unterhaltungsliteratur, die mit spannender Story inklusive dramatischem Höhepunkt, Cliffhangern und schockierendem Twist am Ende aufhält. Nichtsdestotrotz sind Helfers Erzählungen eindrücklich, während sie die Geschichte ihrer Herkunft erzählt und sich selbst die Frage stellt – bin ich auch noch Teil der Bagage? Eine spannende Familiengeschichte, die ich gern gelesen habe. Wir werden Zeuge einer anrührenden Erzählung, erleben Anfeindungen ebenso wie engen Familienzusammenhalt. Helfer hat ein großes Drama in einem kleinen Winkel des Weltgeschehens (Martin Oehlem) geschaffen, das man dieses Frühjahr auf jeden Fall gelesen haben sollte!