Künstlerin, Muse, Model

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„„Ich fordere lautstark die Freiheit!“

(Camille Claudel)

Wer kennt den Film "Camille Claudel" (1988) über die französische Bildhauerin, der seinerzeit alle Besucher in den Kinos tief erschüttert hat? Isabelle Adjani hat diese außergewöhnlichen Frau aus dem Schatten des Vergessens zurückgeholt, der sich dank des Einflusses von berühmten Männern über ihr Leben gebreitet hatte. Nun wird sie in dem historischen Roman "Die Bildhauerin" gewürdigt, in dem Pia Rosenberger eine wichtige Phase im Leben der Künstlerin näher beleuchtet. Er bildet den 5. Band der Reihe "Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe", der im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen ist.

Paris, 1881. Die siebzehnjährige Camille Claudel weiß schon früh, was sie will: Bildhauerin werden. Doch als Frau bleibt ihr ein Studium an der École des Beaux-Arts verschlossen. Gemeinsam mit drei Freundinnen mietet sie ein Atelier und stürzt sich in ein Leben der Bohème. Schon bald erregt sie mit ihren Plastiken die Aufmerksamkeit des viel älteren Auguste Rodins. Dieser protegiert und unterrichtet sie, Camille wird zu seiner unentbehrlichen Mitarbeiterin – und schließlich auch zu seiner Geliebten. Doch sie wünscht sich mehr, als nur eine seiner Musen zu sein.

Das ansprechende Cover hält sich an die Gesetze eines historischen Romans. Wie alle bereits erschienenen Bände dieser Reihe ist es in Sepia-Tönen gestaltet worden. Im Mittelpunkt steht eine aparte dunkelhaarige Frau in einem roten Kleid, die tief in ihre Gedanken versunken durch Paris streift.

Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um Camille Claudel (1864 - 1943) handelt, die aufmüpfige, selbstbewusste Bildhauerin und Malerin, welche sich zu einer bedeutenden Künstlerinnen des Fin de Siècle entwickeln sollte. In ihrem historischen Roman "Die Bildhauerin" konzentriert Pia Rosenberger sich auf die frühen Jahre der Non-Konformistin, welche von ständigen familiären Spannungen gekennzeichnet waren. Während ihr Vater auf seine begabte Tochter stolz war und ihre künstlerischen Ambitionen förderte, war ihre kühle Mutter dem tradierten Frauenbild verpflichtet und konnte den ausgeprägten Freiheitsdrang ihrer Tochter nicht verstehen. Camille Claudel war keine Frau, die sich den Mund verbieten ließ. Auch die Liebesbeziehung zu dem egozentrischen, chronisch untreuen, wesentlich älteren Bildhauer Auguste Rodin war von lautstarken Auseinandersetzungen und Versöhnungen geprägt.

Alles in allem hat mir meine Lektüre gut gefallen. Pia Rosenberger hat sich tief in die Seele einer begabten, ehrgeizigen, temperamentvollen jungen Frau eingefühlt, die einen einsamen, verzweifelten Kampf gegen die tradierten Normen und Werte führt. Ihr ist ein erschütterndes, packendes Buch über eine bedeutende Künstlerin des Fin de Siècle gelungen, kenntnisreich und emotional erzählt.

Leider verschweigt Pia Rosenberger das tragische Schicksal von Camille Claudel, die für ihre Rebellion einen hohen Preis bezahlte. Nach dem endgültigen Bruch mit Auguste Rodin entwickelte sie eine Paranoia und zog sich in eine düstere Kellerwohnung zurück, wo sie nach und nach ihre eigenen Werke zerstörte. Nach dem Tod ihres wohlmeinenden Vaters (1913), der seine schützende Hand über sie gehalten hatte, folgte die Katastrophe. Die rachsüchtige Mutter ließ ihre ungeliebte Tochter, die für negative Schlagzeilen gesorgt und den guten Ruf der Familie beschmutzt hatte, mit der Billigung ihres streng katholischen Sohns in weit abgelegenen psychiatrischen Anstalten verschwinden. Trotz ihrer flehentlichen Bitten sollte Camille Claudel ihre Freiheit nie mehr wiedererlangen; sie vegetierte 30 Jahre lang unter erbärmlichen Umständen dahin, bis zu ihrem Tod an Entkräftung, Kälte und Hunger in den Wirren des Zweiten Weltkriegs.