Spannend und bewegend

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gudrun_4 Avatar

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Ein Raum voller Bücher macht das gesamte bisherige Leben eines zehnjährigen Jungen und damit seine ganze Welt aus. Die Bombardierung Leipzigs und der Untergang des graphischen Viertels in einem verheerenden Brand beendet seine Gefangenschaft, es ist der Beginn eines neuen Lebens.
Die Lebensgeschichte von Robert Steinfeld ist hochdramatisch und mitreißend erzählt, ich war fasziniert.
Die drei Handlungsstränge - Jakob Steinfelds Liebe zu Juli Pallandt 1933, Roberts Abenteuer auf der Flucht mit dem Bücherdieb Mercurio 1943/44 und Roberts Suche nach seiner Herkunft 1971 - fügen sich nach und nach zu einem (fast) vollständigen Bild zusammen. Dabei sind die Zeitenwechsel immer so gewählt, dass Gegenwart und Vergangenheit gerade einen gemeinsamen Bezugspunkt haben. Das hat mir sehr gut gefallen.
Interessant waren die Verstrickungen der Buchhändler- und Verlegerszene im Leipzig der dreißiger Jahre mit den immer mächtiger werdenden Nazis und ihren sehr unterschiedlich motivierten Anhängern. Und nicht zuletzt beschrieb der Autor am Beispiel von Julianas Mutter sehr gut, wie leicht Menschen verblendet und verführt werden können und welche kriminellen Energien aus ihren abstrusen Überzeugungen erwachsen.
Weniger gut gefielen mir die teilweise sehr drastischen und gewalttätigen Szenen, die nichts zum Fortgang der Handlung beitrugen oder der Schilderung historischer Fakten dienten. Muss man, wenn man schon alle Informationen bekommen hat, jemandem zum Abschied noch die Hand brechen?
EIn wenig bedauert habe ich, dass die Gestalt des Mercurio ziemlich unmotiviert aus der Handlung verschwunden ist und nur zum Schluss schemenhaft nochmal auftauchte. Ich war neugierig auf seine Geschichte. Für den elternlos und einsam aufgewachsenen Jungen war er die erste wirkliche Bezugsperson.
Doch insgesamt bot dieses Buch interessanten und spannenden Lesestoff, und Lesern, die sich für Leipzig interessieren, ließ der Roman Bilder der Stadt entstehen, die es so schon lange nicht mehr gibt.