Frauen und Medizin im frühen 19. Jahrhundert

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Berlin, Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Ärzte in der Charitè kämpfen um Leben, Seite an Seite mit Wärterinnen, die mehr oder weniger herzlich die Kranken pflegen. Frauen haben es schwer, wenn sie nicht in höheren Kreisen leben. Drei Frauen erleben diese Zeit völlig unterschiedlich, und doch vereint sie das Interesse an der Medizin und die Tatsache, dass Frauen wenig Rechte haben. Jede einzelne kämpft auf ihre Weise und um ihre Träume. Auch die Liebe spielt dabei eine Rolle.

Obwohl ich nicht der große Histo-Fan bin, habe ich dieses Hörbuch gebannt und fasziniert gehört. Beate Rysopp hat die perfekte Stimme und ideale Betonung für Ulrike Schweikerts Worte. Dass hier nicht einfach eine erfundene Geschichte, sondern wahrer historischer Hintergrund einen großen Anteil hat, macht viel von dieser Faszination aus. Diese Zeit ist noch gar nicht so lange her und doch unendlich weit weg. Kaum vorzustellen, wie hart das war und welch horrenden Irrtümer die damaligen Ärzte vehement verteidigt haben. Dass oft nur Zufälle eine neue Entwicklung ermöglichen und Änderungen manchmal nur mit Gewalt und Kampf möglich sind, stimmt mich mehr als traurig.

Die Geschichte dieser Frauen und Ärzte geht bei mir ganz tief unter die Haut. Und dann sehe ich, wie wir heute so viel Kraft dafür verschwenden, eine Gleichheit zu erzwingen, die niemandem nutzt. Der Wahn, heute an jedes Wort „-innen“ anhängen zu müssen, regt mir mehr auf denn je. Haben wir das wirklich nötig?

Ohne moralischen Zeigefinger kommt Ulrike Schweikert aus. Sie stellt einfach nur sehr klar und deutlich dar, wie das Leben „damals“ war. Für Frauen sehr viel schlechter, als für Männer – und das ganz ohne Begründung. Es war einfach so! Männer durften Ärzte werden, Frauen war die Medizin nicht erlaubt, nur als Hebamme oder Wärterin, später als Diakonisse. Der Umbruch, die Erkenntnis einiger weniger Männer, die Veränderungen – das hat Zeit und Kraft gekostet. Dennoch waren Frauen schon immer bereit, diese Kraft aufzubringen. Die drei weiblichen Hauptfiguren in „Die Charitè“ sind mutig und stark, trotz vieler Rückschläge und Einschränkungen. Ob nun die Gräfin Ludovica, die nie finanzielle Not kannte, oder Martha, die ihren schielenden Sohn allein durchbringen muss, oder Elisabeth, die alles daran setzt, dem Schicksal ihrer Schwester zu entgehen – sie machen alle Mut.

Oftmals werden Wunden und Operationen so anschaulich beschrieben, dass ich gegen Ohnmacht und Übelkeit ankämpfen musste. Da bin ich zart besaitet! Dennoch konnte ich einfach nicht aufhören, weiterzuhören. Das (Hör-)Buch besitzt eine ganz eigene Form der Spannung. Wie sich die Medizin langsam von einer zur anderen Erkenntnis arbeitete, wie sich die Frauen einen Platz in diesem Gebiet erkämpft haben, das Schicksal der Patienten, aber auch, wie liebende Herzen zueinander fanden – oder auch nicht – das hat die Autorin wunderbar unter einen Hut gebracht. Fiktion und Wirklichkeit, ganz gekonnt ineinander verwebt – so gefällt mir ein historischer Roman.

Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie gelungen ich „Die Charitè“ finde. Das ist Unterhaltung mit Lerneffekt, würde ich behaupten wollen. Geschichtsunterricht auf besondere Art, beste Unterhaltung und ein wahrer Hörgenuss. Von mir gibt es deshalb die vollen fünf Sterne.