Kinder ohne Mütter

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theresia626 Avatar

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Der Romanbeginn zu „Die chinesische Sängerin“ von Jamie Ford spielt am 28. September 1934. Der Protagonist William Eng ist chinesischer Herkunft und lebt im Sacred-Heart-Waisenhaus, in dem den Jungen nachts die Hände an ihren Betten festgebunden werden. Jeden Morgen weckt sie das schnappende Klatschen des Ledergürtels von Schwester Briganti. Die Nonnen führen das Waisenhaus mit unerbittlicher Härte. Heute ist Williams zwölfter Geburtstag, oder vielmehr der Geburtstag aller Jungen, wie die Nonnen es festgelegt haben. Es ist der Tag, an dem Papst Leo XII. sein Amt angetreten hat. Der kollektive Geburtstag der Jungen wird mit einer Straßenbahnfahrt, einem Fünf-Cent-Stück für Süßigkeiten und einem Besuch im Moore Theatre begangen. Die Mädchen feiern ihren Geburtstag am 15. Juli, zu Ehren von Mutter Francesca Cabrini, der Gründerin des Waisenhauses. Sie alle sind auf vielfältige Weise in das Waisenhaus gekommen. So wurde Dante Grimaldi in der Spielwarenabteilung des Wonder Store zurückgelassen, Sunny Sixkiller hat seine Mutter zuletzt in der Kinderbuchabteilung gesehen und Charlotte Rigg wurde im Regen auf den Marmorstufen der St. James Cathedral aufgefunden. Sie hoffen schon lange nicht mehr auf ein Wunder, dass sie irgendwann wieder abgeholt zu werden. William kam hierher, weil er seine Mutter in der Badewanne ihres Apartments im Bush Hotel gefunden hatte. Damals war er fünf Jahr alt und heute darf er erstmals Mutter Angelini fragen, was aus seiner Mutter geworden ist. Fragen nach seinem Vater sind nicht erlaubt. Er erfährt, dass sie Tänzerin im Wah Mee Club war und versucht hatte, in der Badewanne einen Eingriff vorzunehmen. Da der Arzt im Krankenhaus eine Asiatin nicht behandeln wollte, wurde sie in das alte Perry Hotel überwiesen, eine Nervenheilanstalt, die sie niemals verlassen haben soll. Im Kino angekommen, streift William durch das Foyer und sieht sich die Filmplakate an. Er sehnt sich nach seiner Mutter, die sich früher mit ihm alte Filmdramen und Stummfilme angesehen hat. Bevor der Film „Pioniere des Wilden Westens“ läuft, wird in der Vorschau die Movietone-Revue mit der chinesischen Sängerin Willow Frost vorgestellt. Für William steht fest, diese Frau ist Liu Song, seine Ah-Ma, seine Mutter, und er muss sie persönlich treffen. Er sehnt den Tag herbei, wo er das Waisenhaus verlassen kann, in dem die Kinder in kirchlicher Obhut misshandelt werden. „Er wusste nur zu gut, dass dieses prächtige Haus in Wirklichkeit ein gütiges, liebevolles, blumengeschmücktes Gefängnis war, …“(S. 26)
Die Leseprobe gefällt mir sehr gut, auch wenn die Geschichte noch handlungsarm ist. Wird William seine Mutter finden, und was ist ihr, sollte es Willow Frost wirklich sein, die letzten Jahre widerfahren? Nach dem Bestseller „Keiko“ ist „Die chinesische Sängerin“ der zweite Roman von Jamie Ford. Seine Fans hoffen auf einen ebenso guten neuen Roman. Die Leser, die ihn bisher nicht kannten, sind dennoch gespannt im Vertrauen auf den Erfolg des Debütromans.