Die Höhen und Tiefen der Musik

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Willy kann ihre Liebe zur Musik im New York der Zwanziger Jahre nicht ausleben: Frauen, vor allem aus ihrer Schicht, sind in der Branche nicht willkommen. Dennoch setzt Willy alles daran, ihren Traum zu verwirklichen. Auf ihrem hindernisreichen Weg, eine der ersten Dirigentinnen in der Musikgeschichte zu werden, stolpert Willy über ein Familiengeheimnis, das sie zu Antonia werden lässt, findet Freunde und Feinde, reist durch die Welt und kämpft für und gegen die Liebe.

Willys Geschichte hat mich fasziniert, in Atem gehalten, Musik fühlen lassen und mich auch über weite Strecken begeistert. Der Roman fühlt sich gut in die begrenzte Lebenswelt von Frauen in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein. Willys Weg ist im Kontext dieser Beschränkungen einfach außergewöhnlich und der Stoff, den man typischerweise als Drehbuch für einen Oscar-Film kennt (nicht umsonst ist die Autorin von Haus aus auch Drehbuchschreiberin). Dies ist schön und sehr solide, mitreißend und durchaus inspirierend, aber birgt keine Überraschungen. Ohne zu viel zu verraten: selbst der Handlungsstrang um Robin hat mich nicht erstaunt - genau das hatte ich die ganze Zeit schon vermutet. Über die Vorhersehbarkeit der Geschichte konnte ich grundsätzlich jedoch gut hinwegsehen, da sie an sich sehr reizvoll ist. Problematischer ist die Tatsache, dass der Roman meiner Ansicht nach zeitweise immer mal wieder seinen historischen Kontext in der Figurenzeichnung und Figurenhandlung und auch in der Darstellung des settings aus den Augen verliert, nur um sich dann wieder sehr machtvoll daran zu erinnern. Da hätte ich mir mehr Konstanz gewünscht.

Durch die Perspektivenwechsel zwischen Willy/Antonia, Frank und Robin wird die Handlung sehr lebendig und vielseitig. Der Aufbau des Romans animiert zum beständigen Weiterlesen, das Buch legt man in der Tat nur schwer aus der Hand. Stilistisch war ich mit dem Roman nicht immer einverstanden. Zwar zeichnet er sich durch eine sehr hohe Lesbarkeit und auch einige gelungene Passagen aus, aber es gibt auch Passagen, in denen Dialoge in der Wortwahl einfach zu modern daherkommen - dies mag natürlich auch der Übersetzung geschuldet sein.

Die Figurenzeichnung ist grundsätzlich nicht schlecht, allerdings schwanken alle im Roman auftretenden Charaktere zwischen sehr starker Fortschrittlichkeit und überaus konservativer Rückwärtsgewandtheit. Dazu bin ich immer etwas empfindlich, wenn im historischen Roman zu viel erklärt und gelehrt wird - natürlich möchte ich etwas über die Zeit lernen und wissen, aber dies sollte in die Handlung und die Figurenzeichnung subtil und elegant eingebunden werden. In Die Dirigentin wird der beginnende Feminsimus teilweise zu grob in den Text eingefügt bzw. den Figuren in den Mund gelegt.

Die Dirigentin ist ein historischer Roman, der manchmal seinen Kontext vergisst, sich für Frauen stark macht und page turner-Qualität hat. Er ist ein schöner, unterhaltender Roman für Leser, die sich in Hollywood-Stoffen verlieren können und über ein paar unelegante Anachronismen hinwegsehen können.