"Männer können das"

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kainundabel Avatar

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Auch wenn Willy Wolters alias Antonia Brico, die Hauptperson des Romans, damit Napoleons Selbstkrönung zum Kaiser meint, steckt in ihrer lapidaren Feststellung eine Erfahrung, die sie persönlich machen wird. Eigentlich arbeitet sie ja als Schreibkraft in einem großen Büro, ihre große Leidenschaft gilt aber der klassischen Musik, und so ist ihre abendliche Tätigkeit als Platzanweiserin in einem Konzerthaus ihr Lebensmittelpunkt. Zwar darf sie der Musik nicht im Konzertsaal direkt lauschen, aber wozu gibt es denn die unter der Bühne gelegene Herrentoilette? Dorthin zieht sie sich heimlich zurück und „dirigiert“ mit einem hölzernen Essstäbchen das Orchester über ihr.
Ihr großer Traum ist es, Dirigentin zu werden. Womit wir wieder beim Eingangszitat wären: Männer können das. Nur Männer können das. Frauen durften das bisher nicht; wir schreiben das Jahr 1926. Es ist unglaublich beeindruckend, mit wieviel Herzblut die junge Frau sich der klassischen Musik verschrieben hat, mit wieviel Mut und Energie sie ihr Ziel verfolgt und dafür sogar die Liebe ihres Lebens opfert. Unbeirrt sucht sie den persönlichen Kontakt zu berühmten Dirigenten, die ihr die kalte Schulter zeigen, was aber Antonias Ehrgeiz nur noch mehr anstachelt. Von New York zieht es sie nach Amsterdam, von dort an die Musikakademie nach Berlin. Es gibt für sie kein Hindernis, keine Hürde, die sie nicht zu überwinden weiß. Die männlich dominierte Dirigentenriege lässt sie mit aus heutiger Sicht schier unfassbaren Äußerungen ihre tiefe Abneigung spüren. Doch damit beißt man bei Antonia Brico auf Granit. Auch wenn sich mitunter Resignation und Verzweiflung Bahn brechen wollen, ihr Wille bleibt ungebrochen. Nach New York zurückgekehrt, gelingt ihr die Sensation …
Ob sich aber tatsächlich nachhaltig etwas verändert hat? 2017 veröffentlichte die Zeitschrift Gramophone eine Liste mit den fünfzig besten Dirigenten aller Zeiten. Frauen? Fehlanzeige!
Maria Peters erzählt die Geschichte der Antonia Brico (1902 – 1989) ebenso ernsthaft wie humorvoll, engagiert, unterhaltsam und sehr gut recherchiert. Schon nach wenigen Seiten ist einem die Protagonisten vertraut wie eine langjährige Freundin, die couragiert und willensstark ihren Weg geht. Der ständige Perspektivwechsel stört allerdings den Lesefluss, wirkt zumindest an den Schnittstellen etwas konstruiert und behäbig. Statt jeweils kapitelweise die Ich-Erzähler zu wechseln, hätte ich einen auktorialen Erzähler bevorzugt, der das große Ganze im Blick hat. Ein Pluspunkt für das in tiefem Blau gehaltene Cover!