Sehr dicht und faszinierend

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singstar72 Avatar

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Man kann über diesen – sehr dichten – Roman sicherlich geteilter Meinung sein. Er bezieht sich ziemlich direkt auf ein früheres Werk des Autors, welches ich jedoch nicht kenne. Ein Aufguss also…? Ich kann mich nur auf meine eigene Kenntnis Fleischhauers beziehen. Und von daher sage ich: die „Dritte Frau“ ist ein typischer Fleischhauer, das ja, aber auch in manchem innovativ, sinnlich, und anregend.

Bisher kannte ich das „Buch, in dem die Welt verschwand“ sowie die „Drei Minuten mit der Wirklichkeit“. Ich habe Wolfram Fleischhauer dabei kennengelernt als einen Autor, der historische oder wissenschaftliche Stoffe als Ausgangspunkt nimmt für dicht gewebte Allegorien, emotionale Zwickmühlen, und vor allem höchst rätselhafte Frauenfiguren. Alles dies bietet auch die „Dritte Frau“.

Ein klein wenig hat das Buch etwas von Dan Brown. Ein Autor in einer Schaffenskrise erhält einen Leserbrief zu einem seiner früheren Bücher. Jenes Buch befasste sich mit der Geschichte eines rätselhaften Gemäldes, das im Louvre hängt, und zwei ehemalige Geliebte von Heinrich IV. In verfänglicher Pose abbildet. Jemand behauptet nun, direkte historische Informationen zu besitzen, wie damals alles wirklich und eigentlich gelaufen sei… Halb aus Lethargie, halb aus Faszination macht sich nun der Autor auf den Weg, um diesen Hinweisen nachzugehen…

Das reicht auch schon zum Inhalt. Denn ein „Fleischhauer“ besteht immer aus mehr als der Summe seiner Teile. Ich finde das Buch erstens geradezu umwerfend recherchiert! Rätsel aus der Kunstwelt üben eine starke Faszination auf mich aus. (Auch wieder Dan Brown, übrigens!) Fleischhauer bietet keine fertige Lösung, aber vielfältige Denkansätze. Dabei stellt er die Geschichte des Gemäldes aber m. E. Nicht zu sehr in den Vordergrund. Mindestens ebenso wichtig ist die Gegenwart.

Sehr erfrischend finde ich in diesem Falle die metafiktionalen Elemente, die Fleischhauer einbaut. Erstens lässt er sozusagen sich selbst in seiner eigenen Handlung vorkommen. Denn der „Autor in der Geschichte“ hat offenbar ein Fleischhauer-Buch geschrieben! Zweitens gibt es zuhauf Diskussionen über das Schreiben selbst, über den Literaturbetrieb, was sich verkauft und was nicht, und warum. Wie eine literarische Recherche abläuft. Ironisch daran ist, dass der „Autor in der Geschichte“ von seiner Lektorin zu hören bekommt, „Postmoderne laufe im Moment nicht mehr“…!

Das dritte Erzählelement, das ich faszinierend fand, war die Liebesgeschichte. Aber kann man sie überhaupt als eine solche bezeichnen? Wirkliche Liebe ist es wohl auf keiner der beiden Seiten. Es ist eher eine fatale Anziehung. Die Frau, eine Nachfahrin der Damen auf dem ominösen Gemälde, will den Autor eigentlich nur benutzen, wie mir scheint. Er aber kann sich kaum entziehen. Und genau deshalb geht das Ganze auch entsprechendermaßen tragisch aus.

Eine Spur überflüssig fand ich eventuell nur den privaten Hintergrund des „Autors in der Geschichte“. Es hätte meines Erachtens nicht des desolaten Liebeslebens bedurft, um die rätselhafte Anziehung von Camille Balzac zu begründen. Auch habe ich schon besser beschriebene Liebsszenen gelesen. Aber insgesamt ist das bei diesem Buch „Jammern auf hohem Niveau“.

Man sollte es nicht lesen, wenn man auf eine Lösung, einen „Plot“, oder eine abgeschlossene Handlung fixiert ist. Dies ist ein Buch zum sprachlichen und sinnlichen Schwelgen, zum Sich-Wundern. Und eventuell, um wieder einmal ein Museum zu besuchen. Ich würde es an Fleischhauer-Fans durchaus weiterempfehlen. Kann aber nicht beurteilen, ob man dazu den Vorgänger, die „Purpurlinie“, gelesen haben sollte, oder besser nicht.