Das unerbittliche Dorf

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igirl Avatar

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Anna Herzig ist mit 'Die dritte Hälfte des Lebens' ein wunderbares Debüt gelungen. Sie verliert kein Wort zu viel in ihrer Geschichte um einige Leben im österreichischen Dorf Krimmwing. Schnell, teils stichpunktartig treibt sie uns Lesende durch die Leben ihrer Protagonist*innen. Es sind besondere Menschen, deren Leben miteinander verknüpft sind – natürlich, es ist ja eben leben im Dorf.
Es geht um den Seppi, der auch Peter heißt und später dann anders, der als uneheliches, ungeliebtes Kind der jungen Rosa Steinlachner geboren wird. Er, farbig, ist ein Außenseiter im Dorf, ebenso wie sein einziger Freund Frido. Und das Dorf braucht seine Außenseiter, um seinen eigenen Neid, seine Unzulänglichkeit, sein Versagen transferieren zu können. Der „El-Kah-Ih“ Rathbauer ist auch anders, aber eben anders anders, queer, und außerdem wohlhabend. Und dann ist da noch die Liesl, körperlich anders, die den Frido geheiratet hat und ihn gar nicht mehr hergeben will und außerdem ist die Liesl für das Dorf viel zu unabhängig. Doch auch den Seppi bekommt das Dorf nicht so leicht los. Ungewöhnliche Figuren, berührende Geschichte, beeindruckende Sprache.

Als Lesende war ich gefordert jedes einzelne Wort zu berücksichtigen. Eine kurze Pause der Aufmerksamkeit und Wesentliches wäre verloren, unentdeckt, unverstanden geblieben. Und doch hat es sich gelohnt, da jedes Wort eine besondere Bedeutung einnimmt und die Besonderheit seiner Figuren, deren Erleben, deren Gefühlswelt unterstreicht. Ungewöhnlich fand ich die Überschriften der kurzen Kapitel. Letztendlich machen aber auch diese einen Sinn in dieser ungewöhnlichen Geschichte ohne Anfang und ohne Ende.

Mein Fazit: Für mich ist „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ein literarisch gelungenes Werk, das den Blick auf tradierte Denkweisen, Kopf-Schubladen und im Dorf lebende 'andere' Charaktere richtet. Irgendwie vorbei und dennoch aktueller denn je. Hervorragend gelungenes Erstlingswerk – Chapeau!