Der Krimmwinger Kirschkernhügel

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
bavaria123 Avatar

Von

Eines gleich zu Anfang: Lange ist es mir nicht so schwer gefallen eine Rezension über ein Buch zu schreiben, wie bei "Die dritte Hälfte eines Lebens" von Anna Herzig.

Die Plastikhülle außen herum darf beim nächsten Mal gern fehlen.
Das Cover ist sehr klar. Einfach ein Tisch mit einem nicht ganz so frischen Apfel. Fertig. Schlicht, aber schön. Allerdings sehe ich keine direkte Bindung zum Inhalt des Buches.
Der Titel ist dann schon nicht mehr so klar. Sind nicht zwei Hälften ein ganzes? Wo kommt die dritte Hälfte her und wann findet sie statt?

Mit 130 Seiten kommt das Buch eher schmal daher und ich dachte zunächst, dass es sicher in ein paar Stunden ausgelesen ist. Aber ganz schnell musste ich zugeben, ein zügiges Lesen war mir hier gar nicht möglich.
Zum einen liegt das am Schreibstil. Der ist einfach anders. Bei wörtlicher Rede beispielsweise wird einfach mit Bindestrichen verfahren, ohne alles. Dann wechseln auch mal die Namen, mit denen die Figuren angesprochen werden. Das musste ich zunächst begreifen.
Manche Passagen haben mich dann auch einfach mit einer solchen Wucht getroffen, dass ich gar nicht weiter lesen konnte. Und dann fragte ich mich, was Hypothese und was wirklich war.

Die Geschichte spielt in Krimmwing, einem fiktiven Dorf in Österreich. Es könnte aber auch in vielen anderen realen Dörfern spielen. Als Dorfkind darf ich das so behaupten.
Es gibt die großen Abschnitte "Was man gehört hat" und "Was die Leute sagen". Diese sind wiederum in kleine Kapitel unterteilt. Da sie mit dem jeweiligen ersten Satz des entsprechenden Kapitels anfangen, finde ich das auch eine Besonderheit.

Im Dorf leben besondere Menschen. Da ist der Seppi mit seiner nicht nur im Sommer dunkleren Haut, die alleinerziehende Rosa Steinbacher oder auch die Liesel mit ihrer körperlichen Eigentümlichkeit.
Die Protagonisten und Protagonistinnen sind anders, speziell.
Aber sie leiden, sind einsam, spüren Gewalt. Absolut menschlich eben.
Sie werden beobachten, sie beobachten. Sie werden verurteilt und sie urteilen.

Was mir ein wenig gefehlt hat, war, dass es nicht nur Unterdrückung in einem Dorf gibt. Nicht nur das Reden hinter vorgehaltenen Händen. Nicht nur das Bespitzeln.

Alles in allem hat mich "Die dritte Hälfte des Lebens" total überrascht und hallt noch lange in mir nach. Und das mit gerade einmal diesen 130 Seiten. Möglicherweise ist genau das die dritte Hälfte eines Lebens.

Ich gebe vier Sterne und empfehle das Buch auf jeden Fall, nicht nur Dorfbewohner*innen.