Ein großartiger Roman

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annabelle Avatar

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Das Buch „Die dritte Hälfte eines Lebens“ kommt auf den ersten Blick ein bisschen dünn daher, doch der knapp 130 Seiten umfassende Roman hat es in sich. Die geballte Ladung.
Auch das minimalistische Cover ergibt während der Lektüre einen Sinn.
Ein einfacher ländlicher Tisch mit Schublade und einem einzelnen dicken Apfel darauf.
Vielleicht vom einzigen Apfelbaum auf dem Kirschkernhügel des Ortes Krimmwing?
Jenes Dorfes, in dem jeder jeden kennt, den Mensch und seine Geschichte, manchmal besser als die betreffende Person selbst. Eine eingeschworene Gemeinschaft, mit eigenen Regeln und Wertvorstellungen. Die gerne genau hinsieht aber im ihr passenden Moment wegsieht, um dann hinterher heuchlerisch zu behaupten, von allem nichts gewusst zu und selbstverständlich doch geholfen zu haben.

Dorfbewohner, die einen kleinen Mischlingsjungen traktieren, bis er als Jugendlicher nach dem Strick greift. Zum Glück von einem unerwarteten Freund von Ast, des schon erwähnten, einzigen Apfelbaums geholt wird. Und der ihm nicht nur das Leben rettet, sondern ihm auch ein neues ermöglicht. Fern ab vom Dorf und seiner Mutter, die ihre große Liebe aus Johannisburg nicht heiraten durfte, weil der junge Mann schon farblich nicht ins Dorf gepasst hat. Und die arme Rosa über diesem Verlust nie hinwegkommt.

Oder der Sohn des Rathbauern, der zu einem attraktiven jungen Mann heranwächst und von den Mädchen umschwärmt wird, während er eher selbst eines wäre. Dessen erste große Liebe dann doch gesellschaftskonform lieber eine Frau heiratet.
Auch ihn lässt das Dorf nicht los. Der der armen Rosa bis zu deren Tod beischlafen muss, damit sie sein Geheimnis nicht verrät.

Auch als Frau mit drei Brüsten hat man es in dieser Gemeinschaft nicht leicht. Das muss die junge Liesl beizeiten erfahren. Vor allem der Neid und die Missgunst der anderen Frauen ist ihr gewiss. Die wildesten Gerüchte und Geschichten machen die Runde.
Doch die Liesl hat einen guten Ehemann. Auch nach seinem Tod kann sie sich nicht von ihm trennen und wählt für ihn ein kühles Grab der anderen Art.

Ob es für die ganzen Außenseiter einen Ausweg gibt?

Schon der erste Satz des Romans von Anna Herzig hat mich sehr bewegt.
Eine Wahrheit, eine Klarheit, die schon alles besagt. Ein Satz, der den Inhalt des Romans vorwegzunehmen scheint. Das Leid und die Not, die Anders Sein mit sich bringt.
Und doch findet sich auch etwas tröstendes in den Zeilen, etwas beinahe liebevolles.
Man leidet mit, möchte helfen und trösten, den Mensch in den Arm nehmen. Und hoffen, dass am Ende doch alles irgendwie gut wird.

In meinen Augen ein genialer Roman. Danke an die Autorin und Danke an alle, die sie bis jetzt auf ihren Weg durch diverse Stipendien unterstützt haben.