Eine Wucht der Worte, aber trotzdem reichlich schablonenhaft

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ismaela Avatar

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Bei diesem Text hat mich die Inhaltsangabe schon sehr neugierig gemacht - so viele Themen auf nicht einmal 130 Seiten - kann das funktionieren?
Es funktioniert. Sprachlich.

Anna Herzig zeichnet in ihrem fiktiven Dorf Krimmwing eine fast schon inzestuöse Gemeinschaft, die nach streng festgelegten, patriarchalen Spielregeln spielt - und wer nicht mitspielen kann oder will, wird entweder zurechtgebogen oder er scheidet aus. Auf die eine oder andere Weise. Einige arrangieren sich, wie der Rathbauer, der zwar lieber eine Frau sein möchte, aber dieses Bedürfnis jahrelang unterdrückt, bis er endlich frei sein kann. Die allein erziehende Rosa, die zwar dagegen aufbegehrt, eine Zweckehe einzugehen, als sie schwanger wird, sich aber trotzdem unterordnet und das an ihrem Kind, dem Josef, genannt Seppi, auslässt. Die Liesl mit ihren drei Brüsten, die bei allen als abnorm verschrien ist, aber trotzdem regelmäßig von den strenggläubigen Herren von Krimmwing im Stripclub begafft und hofiert wird. Die Krimmwinger Kinder, die den dunkelhäutigen Seppi so lange drangsalieren, bis er später keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich aufzuhängen. Jedenfalls ist das der Plan...

Nachdem ich kurz vorher "Dunkelblum" von Eva Menasse gelesen hatte, handelt dieses Buch erneut von einer vergifteten Dorfgemeinschaft, die Menschen in Schubladen presst und Wege vorgibt, auf denen viele beim Beschreiten zu Grunde gehen. Bei denen der oder die Einzelne nur etwas zählt, wenn man sich an der Person abarbeiten und abreagieren kann. Anna Herzog schafft es, dieses Konstrukt in aller Nüchternheit innerhalb weniger Sätze und Seiten zu erschaffen und ich war immer wieder erstaunt, wie viel man in so wenig Wörtern ausdrücken kann.
Das, was mich an der Geschichte aber dennoch gestört hat, war dieses extrem toxische Dorfgemeinschaftsgebilde auf der einen Seite, und die verschlungenen und geheimen Leben der Charaktere auf der anderen. Scheinbar jede und jeder hütet ein Geheimnis, und zwar kein kleines, sodass es scheint, dass jede:r Krimmwinger:in sich um 180 Grad drehen müsste, um so zu leben, wie er oder sie das wirklich will. Mit der Zeit wird das ein bisschen ermüdend. Auch diese zwei Gruppen - Gut und Böse - fast ohne einen wirklichen Graubereich, ist auf die Dauer etwas schwer erträglich, und es ist teilweise mühsam, den Faden nicht zu verlieren. Nicht, dass es so etwas nicht geben könnte, aber hier hat man den Eindruck, ein Leben auf dem Dorf ist gleichbedeutend mit der Unterdrückung von allem und jedem.

Insgesamt aber ist dieses Büchlein in seiner Wucht mit das eindrücklichste, was ich in den letzten Monaten gelesen habe.