Interessanter Ansatz mit zu wenig Ausarbeitung

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„Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist mit seinen rund 130 kurzen Seiten eher eine Novelle als ein Roman, beschäftigt sich aber in ungewöhnlicher, fragmentarischer Erzählweise mit einem spannenden Thema: der Bedeutung von Gerüchten in einer sehr kleinen, eng verwobenen Gemeinschaft. Ein vielversprechender Ansatz, der leider in seiner Ausführung etwas zu wenig Fleisch auf den Rippen hat.

Im kleinen Dorf Krimmwing spielt sich das Leben ab, wie auch überall sonst: Es gibt Menschen, die von der Norm abweichen, deren Verhaltensweisen nicht ins streng moralische Korsett der kleinen Dorfgemeinschaft passen und die dafür an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Da sind Rosa, die ein Kind mit einem Schwarzen Mann gezeugt hat, der den Druck aus dem verbohrten Dorf nicht aushält und sich davonmacht, Lorenz, der sich in seinem männlichen Körper nicht wohlfühlt, und Liesl, die von den Frauen des Dorfes misstrauisch beäugt wird. Sie alle wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, aber die engen Grenzen von Krimmwing lassen das nicht zu. Gerüchte über sie verbreiten sich wie ein Lauffeuer, und Gerüchte sind auch das zentrale Thema des Romans.

Eine Stärke von „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist der freie Umgang mit Fakt und Gerücht, der uns Lesende in einer ständigen Spannung zwischen „So ist es“ und „Das sagen die Leute“ hält. So interessant dieses Konzept ist, so banal erscheint es aber leider in der Umsetzung. Zu fragmentarisch stehen die einzelnen Episoden nebeneinander, zu wenig Tiefe bekommt das Geschehen. Für einen so kurzen Text ist das Figureninventar ganz beachtlich, was dafür sorgt, dass jede und jeder nur episodenhaft zur Sprache kommt. Eine Identifizierung mit den Figuren und ihren Schicksalen wird dadurch nahezu unmöglich gemacht, die Charaktere bleiben zeichenhaft, der Ablauf der Dinge verwirrend. Im Grunde scheint der Roman zeigen zu wollen, was eine Gerüchteküche alles in einem Menschen anrichten kann, aber es gelingt ihm nicht so recht, da die Figuren so blass bleiben wie die Gerüchte, die über sie im Umlauf sind.

Stilistisch und inhaltlich ist „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ein vielversprechendes Werk, in seiner Umsetzung jedoch leider nicht ausgereift. Die Autorin hat sicher einiges zu bieten, und die Chancen stehen gut, dass sie ihre Stimme noch finden wird. Das Potenzial ist auf jeden Fall da, erfordert aber noch ein wenig Schliff.