Scheitern in und an Krimmwing

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angie99 Avatar

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Das Gute zuerst: Anna Herzigs Sprachstil ist so eigenwillig wie eindrücklich. Er kratzt, fühlt sich unangenehm an, kratzt im Hals, kratzt an Oberflächen und Befindlichkeiten – und genau das soll er auch. In kurzen, minimalistischen Abrissen trifft die junge Schriftstellerin den Kern der Sache, destilliert damit die Wahrheiten heraus. Dabei gibt es, wie so oft, mehrere Wahrheiten, die auch über den zwei Teilen des Buches stehen: „Was man gehört hat“ und „Was die Leute sagen“. Es geht um Krimmwing, ein fiktives und doch universales Dort in Österreich. Und hier wird eben viel gesagt und gehört. Vor allem über die, die irgendwie nicht dazupassen.

Bei der Auswahl dieser dörflichen Außenseiter hat mir die Autorin jedoch zu tief in der Klischeekiste gegraben: ein Transsexueller, eine Dicke, ein uneheliches Mischlingskind. Vor allem das Schicksal des ungeliebten, stets drangsalierten Jungen mit seiner alleinerziehenden Mutter steht im Zentrum des Geschehens und wird mit scharfem Blick breitgetreten. „Die anderen und älteren Kinder, sie werden einen Kreis bilden, sich gegenseitig halten, zu zehnt, und beginnen, synchron mit langen, sommerbraunen Beinen nach dem kleinen, dicken Kind zu schlagen, das auch dunkel ist, aber eben nicht nur im Sommer.“ (S. 50)

Über die anderen Bewohner Krimmwings erfährt man nichts oder wenn doch, dann solches: „Eine stumme Mutter mit lila-gelblichen Flecken unter dem Hauskleid. Ein Ehemann nach dem Vorbild des eigenen Vaters. Und dessen Vater und dem davor.“ (S. 24) Das sind einerseits vielsagende Worte, die ganz deutlich die dörflichen Machtstrukturen erkennen lassen, andererseits aber arg schematisch die Grenzen abstecken: Hier sind die „Bösen“. Die Gewalttätigen, die das Sagen haben. Und damit begeht Herzig im Prinzip den gleichen Fehler wie die Figuren, die sie selbst kritisiert: Sie schafft es nicht, das Menschliche aus diesen verkrusteten Hüllen herauszuschälen.

Obwohl Herzig gegen Ende hin einige Wendungen einbaut, die das Gefühl geben, dass ja doch nicht alles ganz so ist, wie es am Anfang scheint, bleiben die Charaktere durchwegs auf ihre festgelegte Schiene beschränkt und haben keinen Freiraum, sich zu entwickeln.

Zu sehr konzentriert sich die Erzählweise auf ihre verknappende Weise darauf, immer nur häppchenweise die verschiedenen Wahrheiten preiszugeben. Gerade im Mittelteil hatte ich somit die Übersicht verloren, was wann passiert und – obwohl es eigentlich nicht viele sind – wer denn wer ist, denn der El-Kah-Ih heißt plötzlich nur noch Rathbauer und war jetzt der Warninger oder der Dohringer der wo früher mal… – zurückblätter – … aber wenn das der war, wie kann der dann jetzt… – hä?! Mich zu beschränkt für die nicht wirklich komplizierte, sondern nur (zu) kompliziert erzählte Story fühlend haben die vielen Hä?!-Momente meinen Lesegenuss verdorben. Fast so wie die Außenseiter in Krimmwing am Leben scheiterte ich an deren literarischer Aufbereitung.

So konnte mich das durchaus löbliche Grundanliegen dieses kurzen, dichten Romans aufgrund der zweidimensionalen Figurenzeichnung und ungeklärten Sicht- und Zeitverschiebungen leider nicht wirklich erreichen. Obwohl der Schluss der Schluss nochmals einiges aufklärt und schöne Sätze hier ihren Eingang finden: „Mit einem vom Dreck der Anderen verklebten Kopf weiß man nicht mehr, wer man eigentlich ist.“ (S. 124)

Fazit: literarisch anspruchsvoll aufgebaut - Charaktere klischeehaft und unzugänglich. Die Sprache kratzt an der Oberfläche, aber leider auch nur da.