Einzigartig eigenartig

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Heap House“ ist das bizarrste, ungewöhnlichste Jugendbuch, das ich zuletzt, ja vielleicht überhaupt jemals, gelesen habe. Bescheinigen kann ich Edward Carey jedenfalls eine bemerkenswerte Fantasie.

Die Familie Iremonger wohnt in einem labyrinthartigen Herrenhaus inmitten eines riesigen, giftigen Müllberges, der sich rund um London erhebt. Jedes Familienmitglied bekommt nach der Geburt einen Gegenstand zugeteilt, den es Zeit seines/ihres Lebens bei sich tragen muss. Für manche ist dies ein handlicher Türknauf, für andere eine massive Kaminumrandung. Letzteres macht das Leben nicht eben einfacher. Aber wozu sind diese Objekte überhaupt gut? Und was geschieht, wenn man sein Geburtsobjekt verliert? Diese Geheimnisse möchte der junge Clod Iremonger lüften, der von einer außergewöhnlichen Gabe geplagt wird: Er kann die Gegenstände hören, wie sie immerzu Namen rufen.

Eine originelle, wunderbar skurrile Idee. Ich war zu Beginn ganz gefesselt von den Geheimnissen rund um Heap House und seine vielen – oft nicht gerade liebenswerten – Bewohnern (Cousins zweiten, dritten Grades, Onkel, Tanten) mit ihren seltsamen Namen.

Die Geschichte wird von großartigen Illustrationen eingerahmt, die perfekt zur Atmosphäre passen. Denn die ist teilweise sehr düster und unheimlich, vor allem ab der zweiten Hälfte. Man muss sich darauf einlassen können, dass hier alles vor Dreck starrt, manch einer Figur permanent die Nase läuft, eine andere leidenschaftlich gerne in Brustwarzen kneift und die Iremongers allesamt nicht gerade zimperlich miteinander umgehen. Teilweise hatte ich auch das Gefühl, der Autor verarbeitet verstörende, persönliche Eindrücke der Corona-Pandemie. Etwa, wenn Neuankömmlinge in Heap House erst einmal brutal zwangsgeimpft werden.

Steampunk, Goth-Märchen, Fantasy. Es fällt schwer, „Heap House“ einzuordnen. Wie überhaupt so einiges verwirrt. Schon allein diese vielen Namen. Neben den Familienmitgliedern, unzählige Namen-rufende Geburtsobjekte.

Ich fand die Einfälle des Autors faszinierend, die Geschichte aber ein wenig umständlich ausgerollt. Einiges wiederholt sich anfangs sehr häufig. Anderes – z.B. die romantischen Gefühle zwischen Clod und dem Dienstmädchen Lucy Pennant – ging fast ein wenig zu schnell, um nachvollziehbar zu sein. Auch war mir nicht immer klar, nach welchen Kriterien die wechselnden Erzähler*innen ausgewählt wurden. Neben den Hauptfiguren Clod Iremonger und Lucy Pennant, gibt es gelegentlich kurze Abschnitte von anderen Charakteren.

Alles in allem ein ungewöhnliches Leseerlebnis. Düster, mysteriös, verwirrend, manchmal abstoßend, sonderbar und einzigartig. Auf Heap House muss man sich einlassen können. Die Leseprobe schadet ganz sicher nicht. Der Band endet offen. Teil 2 und 3 folgen.